Schlagwort-Archiv: ess-störungen

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Ich habe immer mal wieder zum Thema Körper geschrieben, zum Thema Essen, zum Thema Sport. (Links findet ihr unten) Es ist nicht nötig die Texte zu kennen für diesen Beitrag, vieles würde ich heute so nicht mehr schreiben, weil ich Dinge anders beurteile, anders fühle, sie anders sind. Manches ist mir nahezu peinlich, als würde ich mich dafür schämen, wie verletzt ich war und wie sehr mich das bestimmt hat. Wie schade, dabei habe ich immer gekämpft, mit dem, was ich halt zur Verfügung hatte. Das wo ich heute bin, hätte sich mein 16-jähriges Selbsthass-Ich sich niemals vorstellen können. Weil Sport für mich lange voll der Terror war. Untrennbar verbunden mit weniger werden, mit Diäten, mit Zurichtung von Körper und Geist. Sport um des Sportes willen, unvorstellbar. Es wird Zeit für ein Update.

Ich habe Sport lange gehasst. Nicht als Kind, auch in der Schule hatte ich Spaß an Teamsportarten, konnte weiter machen bis die Lippen alle Farbe verloren haben. Aber ich war auch die, die als letzte gewählt wurde. Ich war die, die beim Sprinten mit Abstand am schlechtesten war. Ich war die, über die in der Halle wie auch in der Umkleide gelacht wurde. No fun. Trotzdem, Basketball oder Fußball spielen, reinstürzen, zeigen, dass ich dieses Mädchending nicht auf mir sitzen lassen kann – das ging immer. Wenn wir tanzen mussten und mit Tüchern wedeln, kam ich mir vor wie eine Mutation aus Roboter und Elefant und dachte sehnsüchtig an die Jungs nebenan, die so viel coolere Sachen machen durften. Weiterlesen

inside outside. über innen- und außenwahrnehmung von essstörungen in feministischen diskursen.

ich freue mich, den folgenden gastbeitrag von a light sneeze zum thema ess-störung veröffentlichen zu dürfen.

es gibt nicht DEN feminismus. ich richte mich hier auch nicht an einzelpersonen. es geht um allgemeine tendenzen, um ein thema, wie es mir on- und offline begegnet. und darum, wie ich das empfinde.
dieser text enthält explizite schilderungen von bulimie + magersucht.

schützende schubladen

vor kurzem habe ich herausgefunden: ich gehöre einer gruppe an.
einer gruppe, die gemeinhin als essgestört bezeichnet wird und/oder sich selbst so bezeichnet.
einer gruppe, die, von einigen, als nicht ableisiert gelesen wird.

das hat erst einmal etwas beschütztes. Weiterlesen

Über ge-störtes Essen, Vereinnahmung und das innere Schlachtfeld

Ein Text über ge-störtes Essen. An dem ich schon lange schreibe. Dieser Text versucht einen Spagat zwischen einer radikalen Kritik an Diagnostik/Störungszuschreibung und gleichzeitig einer radikalen Akzeptanz der Situation wie sie ist und was das bedeutet. Zwischen Fat-Positiv und Essenshass. Ein Versuch. Weil meine Gefühle und Positionen so zerrissen sind. Aus guten Gründen. Und diesen Kampf findet ihr hier auch wieder. Mir fehlt leider viel alternatives Vokabular. Ich schreibe Ess-störungen, weil die Störung nicht in der Person liegt, sondern von außen stattfindet. Ich verstehe Begrifflichkeiten in ihrer Selbstzuordnung, nicht darin, wie irgendwelche Kataloge zuordnen, da die Grenzen doch sehr fließend sind – niemand kann das von außen definieren. Mir jedoch hilft der Begriff „ess-gestört“ zur Zeit noch, um vieles fassen zu können. Dieser Text ist aus der Perspektive einer dicken Frau die mehr als die Hälfte ihres Lebens mit dem Essen und gegen_für sich kämpft. Manche Sätze können wehtun weil da viel Schmerz drin ist. Selbstverletzung_zerstörung. Persönliches und so. Ich rege mich über Vereinnahmungen auf. Und schreibe über Vergleiche, Kämpfe, Verletzungen und die Verzweifelte Suche nach der Anerkennung des eigenen Schmerzes. Weiterlesen

Die Machtverhältnisse durchziehen den Körper. Verlorenes und neu Erkämpftes.

Der Text „Von Gewicht“ hat mich irgendwie aus der Bahn geworfen. Erst wusste ich nicht genau warum. Aber ich glaube es war einmal dieser Satz „Ich habe schon eine Form“. Ein so unglaublich kluger Satz. So hilfreich.
Und doch so wenig zugänglich für mich.
Ich habe keine Form.

Natürlich weiß ich, dass ich rein von einer äußerlichen Betrachtung eine Form habe, eben einen Körper mit Längen und Weiten und Ecken und Kanten und Haaren und Haut und allem was dazugehört. Ich könnte mich hinlegen und nachzeichnen (lassen). Aber es fühlt sich nicht an wie eine Form. Weil es sich nicht anfühlt als wäre dieses Etwas mit Kopf Rumpf Armen Beinen – ein Teil von mir.

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„Machen Sie doch einfach mal Sport“

Zum Teufel mit eurem scheiß Sport! D a s Allheilmittel für alles.
Du bist traurig oder unglücklich? – Geh raus, mach Sport.
Du fühlst dich zu dick? -Geh joggen, dann nimmst du auch ab.
Du kannst vor Alpträumen nicht schlafen? -Nach dem Sport schläfst du besser.
Das ist echt absurd, wann und wo ich mir diesen Satz anhören muss. Völlig unabhängig davon ob ich mich tatsächlich nicht bewege oder fünfmal die Woche zum Sport gehe. Irrelevant. Die Frage entsteht dadurch, dass ich wahlweise als „übergewichtig“ oder „fett“ definiert wurde/werde. Selbst als ich ne Mittelohrentzündung hatte, fragte die Ärztin, ob ich mich denn bewegen würde. Großartiger Zusammenhang.
Besonders gelungen fand ich diesen Satz immer von Therapeut_innen. Die haben das auch wirklich alle gesagt. Stellt euch einmal folgende absurde Gesprächsfetzen vor:

„Ich habe ein Problem mit meinem Körper.“
„Gehen Sie doch mal Joggen.“
„Ich hasse meinen Körper.“
„Sie sollten mehr Sport machen.“
„Mir hat ein Typ gesagt mein Outfit wäre zu gewagt.“
„Mit Sport nehmen sie bestimmt ab.“

Da bleibt bei mir nur WUT. Dieses Gefühl, wo vor Wut die Tränen kommen.
Fällt eigentlich nur mir auf wie wenig die Reaktionen mit dem zu tun haben was ich da gesagt habe? Wie wenig die Lösungsvorschläge auf meine Probleme eingehen? Keine einzige Nachfrage, woran das überhaupt liegt, dass ich mich so unwohl in meiner Verpackung fühle. Gleich die Lösung. Und diese Lösung soll, wie am Ende deutlich wird, auch nicht für meine negativen Gefühle da sein, sondern tatsächlich zunächst ganz klar für eins: Abnehmen.
Ich halte das für eine total großartige Idee, diese Botschaft Menschen mitzugeben, die es eh schon geschafft haben, ihrem Körper genau dem Wert selbst beizumessen, den eine patriarchale Gesellschaft ihm zuschreibt. Minderwertiges Objekt.
Den Gedanken, dass ich gerade vielleicht ganz andere Sorgen habe und mich diese Anforderung nur noch mehr daran erinnert, nicht genug zu sein, hässlich / faul / unsportlich / undiszipliniert – eben all das was fette Menschen in unserer Gesellschaft sein sollen – den Gedanken, dass ich ganz andere Sorgen haben könnte, der kommt anscheinend nur mir.
Ich habe es sogar mal versucht. So wie manchmal eben die Verzweiflung so groß ist, dass sich jedes Heilsversprechen irgendwann gut anhört. Einen Sommer lang intensiv. Mehrmals Training, mehrmals Laufen zusätzlich. Nicht, dass es nicht Spaß gemacht hätte. Im Schlamm prügeln ist echt nicht schlecht als Ansatz. Aber es hat kein einziges Problem gelöst. Weder habe ich ein Kilo abgenommen, noch habe ich mich besser gefühlt.
Und irgendwann konnte das, was mir der Sport geboten hat, nicht mehr gegen den Schmerz an, den er verursacht hat. Sportklamotten vermitteln mir das Gefühl nackt zu sein, egal wie weit sie sind. Die Blicke von außen machen es nicht besser. Und es ist ein verdammt scheiß Gefühl, dem verhassten Körper und den Blicken der anderen so sehr ausgeliefert zu sein.
Und wenn ich dann während dieser Zeit zum Arzt gehe und mir den Vorschlag anhören muss ich solle doch mal Sport machen – wegen meinen Problemen – dann will ich nur noch alles kurz und klein schlagen.

“Ich ess halt gerne”

Zum Teufel mit: „Ich ess halt gerne“. Weil ich so dick bin muss ich irgendwas dazu sagen wenn ich esse. Oder auch einfach warum ich bin wie ich bin. Einfach so. Erklären müssen. Und eben besonders wenn ich etwas esse. Ich könnte sagen: Ich versuchs gerade eh mit ner Diät. Lüge. Ich könnte sagen: Ich mag mich so.Lüge. Ich könnte sagen „Ich ess halt gerne“. Lüge.
Ich hasse essen. Ich habe nichts gegen ein leckeres Essen beim Weggehen und ich liebe es aufwendig zu kochen. Aber dabei geht es nicht ums Essen. Da ist doch selbst der Wein wichtiger. Hauptsache die Menschen stimmen. Ja, dann kann selbst essen nett sein.
Ich hasse essen.
Ich hasse es, essen zu müssen. Ich würde am liebsten gar nicht mehr essen, nichts. Auf keinen Fall normale Nahrung. Abbeißen, kauen, schlucken.Abbeißen ist grauenvoll. Kleine Bissen gehen. Süßigkeiten. Knabberzeug.
HAHA, da haben wir den Fehler. Die Dicke isst nur ungesunden Scheiß!
Ich könnts mögen. Auch wenn es keinen Unterschied macht ob ich jetzt sage: Ich mags halt oder ob ich sage, dass ich es abgrundtief hasse. Fest stehen bleibt der Vorwurf: Die Dicke isst nur ungesunden Scheiß.
Bingo.

Oft bringe ich keinen Bissen runter.
Ich hörs schon.
Wie kannst du denn so fett sein wenn du essen so hasst? Wenn deine Kehle ach so zugeschnürrt ist?
Ich würde lieber zuschlagen als antworten. Schlimmer noch ist, dass es kaum Menschen aussprechen. So kann ich wohl auch schlecht antworten. Es traut sich keine_r zu fragen. Aber denken tun es viele. Irritiert sind sie, wenn ich sage dass ich oft nichts essen kann. Dass ich Essen vergesse wenn ich Stress habe. Dass es mich anekelt und ich oft nur esse, weil ich nicht darauf achte sondern es einfach hinunterschlinge.
Wäre es dann nicht besser weniger zu essen, wenn ich es doch eh will, ich könnte dann doch einfach mal eine Weile nichts mehr Essen, bis ich weniger fett bin.
Yeah, guter Plan. Eigentlich dachte ich, ich lass das mit der Selbstzerstörung mal.
Ich übertreibe? Bin wieder übermäßig sarkastisch, nicht lustig und auch nicht schön zu lesen?
Kann schon sein.
Mir ist auch nicht nach Spaß.
Mein Bauch grummelt. Zieht sich zusammen. Kommuniziert. Ich versuche zu übersetzen, verstehe die Sprache nicht. Wie immer. Ich versuche den Kontext zu betrachten. Versuche abzuleiten, was diesmal Thema ist. Zu wenig. Diesmal war es wieder zu wenig. Nur drei Schnitten und ein kleiner Teller Nudeln. Eine Birne. Ja, zu wenig.
Nicht-Handeln ist die Aktion der Wahl.
Ist doch eh besser so, was?
Bitterkeit, ein viel zu vertrautes Gefühl.
Wann habe ich das eigentlich alles geschluckt?
Langsam werde ich wütend.

Hässlich

Sie sitzt da, starrt auf den Teller. Die langen Haare fallen ihr ins Gesicht. Niemand sieht ihre Augen. Niemand sieht ihren starren Blick.
Fest umklammern ihre Hände Messer und Gabel. Ihre Finger sehen so aus, als würden sie sich in das Metall krallen wollen.
Vor ihr liegt eine halbe Scheibe Brot, dünn beschmiert.
Um sie herum reden sie. Worüber? Das weiß sie nicht. Sie ist darauf konzentriert, ein winziges Stückchen abzuschneiden. Langsam führt sie es mit der Gabel zum Mund. Mit aller Kraft zwingt sie sich, den Mund zu öffnen.
Bloß nicht auffallen.
Lächeln.
Sie will schlucken, aber ihr Hals ist wie zugeschnürrt.
Als sie es dann doch schafft rutscht ihr das Brot wie ein schwerer Steinbrocken in den Magen.
Ihr Bauch knurrt, sie hat Hunger. Aber sie kann nicht essen.
Ein bisschen Brot muss sein.
Schön langsam essen, dann fällt es nicht auf.
Wie viel Zeit wohl vergangen ist? Sind die Anderen schon fertig?
Erleichtert blickt sie auf.
Dann ergreift sie Panik. Schnell steht sie auf, nimmt ihren Teller und verlässt die Küche.

Sie steht vor ihrem Spiegel. Sieht sich selbst. Ein dickes, hässliches Mädchen. Fett. Nicht wie die Anderen. Nicht begehrenswert. Abstoßend.
Sie will schreien, will sich zerstören.
Ihre Wut, ihre Abscheu droht sie zu zerreißen. Sie hält den Hass nicht mehr aus.
Sie stößt einen lautlosen Schrei aus, zerrt an ihren Haaren, sie sinkt zu Boden.
Sie weint, doch kein Geräuscht kommt über ihre Lippen und ihre Augen sind staubtrocken.

Sie will sich auflösen. Einfach zerfließen in der Luft.
Sie muss dünn werden.
Und irgendwann… ist sie dann nicht mehr da.