Kategorie-Archiv: Körpernormierung

Kampf der Komfortzone – Sextoys, Entschuldigungen und weibliche Sozialisation

Meine neue WG bringt mich an den Rand meiner Komfortzone. Ihr wisst schon, dieser Bereich, in dem eine sich ganz gemütlich einrichtet. Ist ganz schön da, aber manchmal ist diese Zone auch ziemlich klein. Meine WG bringt (schubst) mich mit regelmäßigen harten Hits darüber hinaus. Im Dezember hatten wir einen gemeinsamen Sextoy-Adventskalender – Dank guter weiblich-christlicher Sozialisation hatte ich jeden Tag mit einer leichten Panik und Beschämung zu kämpfen.
Im Badezimmer liegen gewaschene Sextoys, auf dem Wohnzimmertisch Vibratoren (entweder Überbleibsel vom Kalender oder die, über die gerade gesprochen wurde) in allen Formen, mit Fernbedienungen, App-Connection und in verschiedenen Größen. Auf der Anlage steht ein regenbogenfarbener Dildo und in der Sportecke hängen zwischen den Therabändern die Bondageseile. Bei Gatherings und den kleinen Spontanpartys (berufstätige Frauen Anfang 30 suchen ruhige Wohnumgebung) wird mit Internetanleitungen geknotet, laut bei Popsongs mitgegrölt und seit einigen Wochen ständig über Sex geredet. Beim Sextoy-Vorstellabend holte ich brav meinen Schuhkarton unter meinem Bett hervor. Dann zog ich meine Kapuze über den Kopf, knibble an meiner Bierflasche und versuche so tief es geht im Sofa zu verschwinden.

Scham
Ich schäme mich für alles, was mit Sex zu tun hat. Und ich schäme mich, mich zu schämen. Ich schäme mich, nicht emanzipiert genug zu sein. Weiterlesen

Brennende Haut

Manchmal habe ich das Gefühl, dass meine Haut brennt. Brennt vor Sehnsucht. Oder Mangel. Brennt, weil der Kontakt fehlt. Berührung.
Dieses Gefühl ist nicht erst durch die Verbreitung von Covid-19 in mein Leben getreten, aber ich kann euch verraten, eine Pandemie macht das nicht leichter. Vor kurzem war ich einige Zeit in selbstgewählter Quarantäne. Geboosterte müssen nicht, doch mir erschien es völlig absurd, mich mit anderen Personen in einem Raum aufzuhalten, während meine Mitbewohnerin zuhause mit Covid sitzt. Also habe ich mich nur in meinem Zimmer aufgehalten und ging bei Wind und Wetter mit einer guten Freund:in jeden Tag zum Testzentrum spazieren. Diese Begegnungen waren wertvoll, waren Kontakt, Körper im Raum – wenn auch ohne Berührung.
Als ich wieder „raus“ kam, war ich völlig überfordert. Die Pandemie immer noch voll im Gange, dazu meine grundsätzliche Skepsis gegenüber körperlichem Kontakt. Ich habe auch vor der Pandemie nicht dazu geneigt, alle sofort zu umarmen, anzufassen oder gar zu kuscheln.
Es gab viele Phasen, in denen ich nicht in einer Beziehung war und auch keine Freund:innenschaften mit viel körperlichem Kontakt hatte. Phasen, in denen ich auch schon das Brennen meiner Haut gespürt habe. Einsamkeit. Einsamkeit obwohl ich gar nicht alleine bin.

Botenstoffe und Kartoffel-Kultur
Es wird euch nicht verwundern: Es gibt selbstverständlich wissenschaftliche Forschung zu diesem Thema. Fehlende körperliche Nähe macht krank, führt zu Stress, hohem Blutdruck und schwächt das Immunsystem – und kann nebenbei Selbstwert und Selbstvertrauen ruinieren (ruinieren sagt die Google-Suche nicht. Nur bei Kindern, die gehen kaputt durch ein Mangel von gutem Kontakt.) Weiterlesen

Mehr werden

Ich habe immer mal wieder zum Thema Körper geschrieben, zum Thema Essen, zum Thema Sport. (Links findet ihr unten) Es ist nicht nötig die Texte zu kennen für diesen Beitrag, vieles würde ich heute so nicht mehr schreiben, weil ich Dinge anders beurteile, anders fühle, sie anders sind. Manches ist mir nahezu peinlich, als würde ich mich dafür schämen, wie verletzt ich war und wie sehr mich das bestimmt hat. Wie schade, dabei habe ich immer gekämpft, mit dem, was ich halt zur Verfügung hatte. Das wo ich heute bin, hätte sich mein 16-jähriges Selbsthass-Ich sich niemals vorstellen können. Weil Sport für mich lange voll der Terror war. Untrennbar verbunden mit weniger werden, mit Diäten, mit Zurichtung von Körper und Geist. Sport um des Sportes willen, unvorstellbar. Es wird Zeit für ein Update.

Ich habe Sport lange gehasst. Nicht als Kind, auch in der Schule hatte ich Spaß an Teamsportarten, konnte weiter machen bis die Lippen alle Farbe verloren haben. Aber ich war auch die, die als letzte gewählt wurde. Ich war die, die beim Sprinten mit Abstand am schlechtesten war. Ich war die, über die in der Halle wie auch in der Umkleide gelacht wurde. No fun. Trotzdem, Basketball oder Fußball spielen, reinstürzen, zeigen, dass ich dieses Mädchending nicht auf mir sitzen lassen kann – das ging immer. Wenn wir tanzen mussten und mit Tüchern wedeln, kam ich mir vor wie eine Mutation aus Roboter und Elefant und dachte sehnsüchtig an die Jungs nebenan, die so viel coolere Sachen machen durften. Weiterlesen

Wie ich dann doch mal Germanys Next Top Model guckte

Ein kurzes Review zu meiner ersten Begegnung mit Germanys Next Top Model. Das mit dem ganzen pathologischen Diskurs rund um “Magermodels”, das knüpfe ich mir dann doch lieber nochmal extra vor. Kurze Gedanken zu Realitäten, Perfektion und Inszenzierung. Weiterlesen

psychiatrieerfahrungen. vernetzung. links.

Hiermit möchte ich auf zwei relativ neue Blogs aufmerksam machen, zu Antipsychiatrie und Psychiatrieerfahrung. Wenn ihr selbst dazu schreibt, besonders aus einer (queer-)feministischen Perspektive, dann gebt mir Bescheid und ich verlinke euch gerne. Ich bin sehr an antipsychiatrischem Austausch interessiert. Ich erneuere gerne diesen Beitrag und auch meine Blogroll. Hier die beiden Blogs auf die ich in den letzten zwei Monaten gestoßen bin:

Auf My Owl House gibt es Erfahrungen aus der (Kinder- und Jugend-) Psychiatrie

Auf NoPsyko gibt es Kosmonautus` Erkundung des Planeten Psychiatrie

Und noch mehr Lesestoff:

Hier habe ich zu meinen Psychiatrieerfahrungen geschrieben, hier finden sich Texte allgemein zu Psychiatrie- und Pathologisierungskritik

Hier gibt es einen Text zu Psychiatrie und Anderssein auf Ein Blog von Vielen

Ich bin in Therapie – Kontextfrei und Spaßdabei. Eine Polemik.

Seit einiger Zeit gibt es auch in Deutschland das “Anti-Stigma-Projekt” namens “Ich bin in Therapie”. Auf der Seite Ich bin in Therapie kann öffentlich bekannt gegeben werden, dass eine_r sich in Therapie befindet. Zur Zeit ist die Seite nicht komplett zugänglich, da eine rechtliche Prüfung stattfindet, gerade wegen der Schutzbedürftigkeit der Betroffenen. Auf der About-Page vom Projekt steht:

Diese Anti-Stigma-Kampagne soll dazu dienen, Vorurteilen und Stigmata über psychische Störungen und Psychotherapie entgegenzuwirken, indem diese Thematik greifbarer und persönlicher gemacht wird. Dieses ambitionierte Ziel soll dadurch erreicht werden, dass Personen Fotos von sich hochladen und der Welt zeigen “Ich bin in Therapie” und dass es nichts ist, wofür man sich schämen muss.

Was ist also mein Problem mit dieser Kampagne und der Debatte darum? Zunächst einmal bin ich immer skeptisch gegenüber Kampagnen, die darauf beruhen, dass Betroffene “ihr Gesicht” zeigen. Das dreht die Aufgabe einer Gesellschaft, Verantwortung für die Gewalt die sie ausübt zu übernehmen, immer um. Es werden Stereotype abgebildet, oder diese in der Antithese (Ich bin gar nicht stereotyp depressiv) wieder gestärkt. Das erinnert ein wenig an die Abgrenzung von “Nicht alle Feministinnen sind lesbisch und rasieren sich nicht”.

Ziel der Kampagne ist es auch nicht, dass das Sprechen über Therapien erleichtert wird. Dazu würden Kassenproblematiken, überanalysierende Therapeut_innen, Heterosexualisierung und ähnlicher Spaß zählen. Ziel ist es, eine “Scham” aufzulösen. Die Scham psychisch krank zu sein. Das soll durch persönliche Geschichten erleichtert werden, durch Kontakt mit den Betroffenen. Das Erinnert mich an diese Sache mit den lebendigen Bibliotheken. Das zugrunde liegende Verständnis von sogenannten psychischen Krankheiten wird nicht in Frage gestellt:

Wichtig ist eine solche Kampagne deshalb, weil es viele Personen gibt, die an einer psychischen Störung leiden – eventuell weit mehr, als du vermuten würdest. […] Das bedeutet, dass etwa jede_r Dritte bis Vierte innerhalb von 12 Monaten die Kriterien für eine psychische Störung erfüllt.

Hier steckt der Teufel im Detail, denn eigentlich wird die Kritik gleich mitgeliefert: Menschen erfüllen die Kriterien von sogenannten Störungen. Wer legt diese Kriterien fest? Oft wird darauf verwiesen, dass immer mehr Menschen unter psychischen Krankheiten leiden. Was dabei meist verschwiegen wird, ist, dass das, was als psychisch krank gilt, historisch und aushandelbar ist. Um festzulegen was als Krank gilt, treffen sich Komissionen die dann bestimmen, was in den USA oder hier Symptome von Krankheiten sind. Dann streiten sie sich, und dann kommen allerlei krude Sachen dabei rum, wie beim DSM-IV “Gender-Dysphoria” oder die Geschichte mit der krankhaften Trauer.

Wie in der Debatte ums DSM-IV wird schon die einer oder andere Diagnose in Frage gestellt, mal überlegt, ob Trauer nun doch nicht krankhaft ist oder sogar die Normalität irgendwie etwas schräg ist. Aber dann gibt es ja die “echten”, “wirklichen” Krankheiten. Diejenigen, die körperlich nachgewiesen werden können. Und da das so wichtig ist, versuchen Forscher_innen die Folgen von Traumata im Gehirn nachzuweisen – erfolgreich. Für eine emanzipatorische Kritik ist das mehr als beunruhigend, wenn beispielsweise Gewalterfahrungen nur noch dann anerkannt werden, wenn sie im Gehirn nachgewiesen werden. Auch heute braucht es bereits eine psychiatrische Diagnose, um auch “echt” traumatisiert zu sein. Was das für die Anerkennung von Leiden bedeutet, habe ich hier schonmal versucht zu fassen.

Es gibt Kritik an dieser aktuellen Aktion. Doch diese Kritik bezieht sich vor allem auf Datenschutzfragen und die Problematik, dass das Bekanntwerden von “psychischen Krankheiten” Konsequenzen führen kann. Das ist eine berechtigte Kritik, wenn sie auch vollkommen verkürzt daher kommt. Aber ja. Konsequenzen! Die gibt es einige:

“Wenn jemand eine schwere Persönlichkeitsstörung oder eine Schizophrenie hat, ist das natürlich ein ernstes medizinisches Problem, das gegen eine Verbeamtung spricht.” (Thomas Hilbert in Die Zeit)

Aber sicherlich ist es eine sehr gut Idee, Menschen mit Therapiehintergrund (welche Hintergründe es heute nicht alle gibt!) ihre Gesichter herzeigen zu lassen. Alles eine Frage des Stolzes! Zieht auch niemals unfreiwillige Pathologisierungen nach sich… Es wird sichtbar: Auch bei den Kritiken bleiben psychische Störungen als etwas gesetztes, naturalisiertes unkommentiert stehen. Auch hier fehlt ein Bezug auf ein psychiatrisches System, dass nicht erst seit diesem Jahrhundert Menschen klassifiziert und einsperrt – mit der Begründung, diese Störungen würden Menschen gefährlich, unberechenbar machen. Zu ihrem eigenen Schutz ist manchmal eine Internierung sinnvoll. Menschen mit psychiatrischen Diagnosen können immer wieder entmündigt und eingewiesen werden. Wenn die Diagnose “Depression” lautet, mag das nicht so schnell gehen als wenn das Konstrukt “paranoide Schizophrenie” heißt – doch der Herrstellungsprozess dieser Krankheiten basiert auf psychiatrischem Wissen, dass nun nicht gerade eine rühmliche Geschichte hat.

Teil einer feministischen Kritik ist es also, nicht nur die Konstruktion von Psychisch Kranken zu hinterfragen, sondern auch zu prüfen, wie sehr medizinischen Wissen naturalisiert, Geschlechterverhältnisse aufrechterhält und Menschen die nicht ins Schema passen aussondert. Die Trennung von gesund und krank ist keine natürliche, sondern eine Geschaffene. In der Vergangenheit gab es zum Beispiel mal die Trennung von Leben und Tod als relevante Bezugsgrößen. All diese Aspekte machen den Konstruktionscharakter dessen deutlich, was in der Kampagne “Ich bin in Therapie” als Stigma bezeichnet wird. Die Aktion jedoch ist wiedermal eine weitere der Art ich-möchte-helfen. Ein paar Psychostudis und Psycholog_innen haben sich zusammengetan und gedacht, hey, machen wir mal was gutes und Befreien unsere Kund_innen von ihrer Scham, sich von uns analysieren und therapieren zu lassen. Die Macht möge mit uns sein. Sie wollen doch nur helfen, nur denen helfen, die an psychischen Störungen leiden. Kapitalismus, Patriarchat, white supremacy… das Problem sind die Krankheiten, die sind nämlich im Gehirn nachweisbar und müssen nur endlich von ihrem Stigma bereinigt werden! Ein Hoch auf die neutrale, objektive Medizin!

Bevor ich mich nun weiter in meiner krankhaften Polemik verliere, beende ich diesen Text und fluche eine Runde auf Psychologiestudent_innen und ihre tollen Ideen, den Mangel an Kontextualisierung, Gesellschaftskritik und eine Naivität, die mich echt vom Hocker haut.

Der feministische Blick

Heute hörte ich das erste Mal vom „feministischen Blick“. Ich war ganz aufgeregt, weil ich dachte: Oh yeah, vielleicht habe ich das schon. Vielleicht ist das dieser gleichgültig-bis-leicht-verachtende Blick Typen gegenüber. Mein Gedanke war gar nicht so weit weg, aber ich traf doch nicht ganz. Meine Dozentin erzählte, dass zu ihrer Zeit der feministische Blick den Blick bezeichneten, den Frauen hatten wenn sie den Raum betraten und dachten: Es kümmert mich überhaupt GAR nicht, wie ihr (Männer) mich findet. Weiterlesen

Ge-störte Identitäten

Ich bin nicht gut in dieser Identitätsgeschichte. Was ist das schon, Identität. Stabil? Dekonstruiert? Im Fluss? Ich beziehe mich viel auf Kleidung. Greifbar und so. Ein Thema, das für mich immer eine Rolle spielte. Nicht gerade freiwillig. Das ist auch Thema. Und die Frage nach dem Ausschnitt. Und der „Identitätsstörung“. Erste Gedankensprünge verschriftlicht. Weiterlesen

Nix mehr mit Maßen

Neulich saß ich wieder mit Freundinnen zusammen und das Thema Schokolade und Diäten kam auf. Ich habe sofort versucht zu intervenieren. Keine Diätgespräche in meiner Gegenwart. Dieses ganze Ding mit „aber ich mache das doch für mich damit ich mich wohler fühle“ stößt mir auf. Ich habe das doch nicht gemacht damit ich mit wohler fühle. Sondern damit andere mich anders behandeln und ich mich dann durch diese andere Behandlung wohler fühle. Wobei das auch einfach ist, das zu internalisieren und als eigenen Wunsch zu definieren. Fühlt sich weniger nach diskriminierenden Strukturen an dann. Ändert aber nichts am gesellschaftlichen Zwang. Weiterlesen

wahnsinnswut oder therapieordner dreieinhalb

ich bin so wütend. wütend wütend wütend.

es ist gut dass dieses gefühl da ist. ich las gerade in der autobiografie von beth ditto und kam an die stelle im krankenhaus. wo die ganzen irren sind. die gewalt erlebt haben. und dann nicht mehr so einfach rauskommen. und fragen von männern gestellt bekommen. sie schreibt, dass das der ort wäre wo eine wohl nach gewalterfahrungen landen würden. und was das denn bringen würde.

und dann wurde ich wieder so wütend. wütend wütend wütend.

ich habe keine lust auf noch eine therapie. Weiterlesen