Ich bin in Therapie – Kontextfrei und Spaßdabei. Eine Polemik.

Seit einiger Zeit gibt es auch in Deutschland das “Anti-Stigma-Projekt” namens “Ich bin in Therapie”. Auf der Seite Ich bin in Therapie kann öffentlich bekannt gegeben werden, dass eine_r sich in Therapie befindet. Zur Zeit ist die Seite nicht komplett zugänglich, da eine rechtliche Prüfung stattfindet, gerade wegen der Schutzbedürftigkeit der Betroffenen. Auf der About-Page vom Projekt steht:

Diese Anti-Stigma-Kampagne soll dazu dienen, Vorurteilen und Stigmata über psychische Störungen und Psychotherapie entgegenzuwirken, indem diese Thematik greifbarer und persönlicher gemacht wird. Dieses ambitionierte Ziel soll dadurch erreicht werden, dass Personen Fotos von sich hochladen und der Welt zeigen “Ich bin in Therapie” und dass es nichts ist, wofür man sich schämen muss.

Was ist also mein Problem mit dieser Kampagne und der Debatte darum? Zunächst einmal bin ich immer skeptisch gegenüber Kampagnen, die darauf beruhen, dass Betroffene “ihr Gesicht” zeigen. Das dreht die Aufgabe einer Gesellschaft, Verantwortung für die Gewalt die sie ausübt zu übernehmen, immer um. Es werden Stereotype abgebildet, oder diese in der Antithese (Ich bin gar nicht stereotyp depressiv) wieder gestärkt. Das erinnert ein wenig an die Abgrenzung von “Nicht alle Feministinnen sind lesbisch und rasieren sich nicht”.

Ziel der Kampagne ist es auch nicht, dass das Sprechen über Therapien erleichtert wird. Dazu würden Kassenproblematiken, überanalysierende Therapeut_innen, Heterosexualisierung und ähnlicher Spaß zählen. Ziel ist es, eine “Scham” aufzulösen. Die Scham psychisch krank zu sein. Das soll durch persönliche Geschichten erleichtert werden, durch Kontakt mit den Betroffenen. Das Erinnert mich an diese Sache mit den lebendigen Bibliotheken. Das zugrunde liegende Verständnis von sogenannten psychischen Krankheiten wird nicht in Frage gestellt:

Wichtig ist eine solche Kampagne deshalb, weil es viele Personen gibt, die an einer psychischen Störung leiden – eventuell weit mehr, als du vermuten würdest. […] Das bedeutet, dass etwa jede_r Dritte bis Vierte innerhalb von 12 Monaten die Kriterien für eine psychische Störung erfüllt.

Hier steckt der Teufel im Detail, denn eigentlich wird die Kritik gleich mitgeliefert: Menschen erfüllen die Kriterien von sogenannten Störungen. Wer legt diese Kriterien fest? Oft wird darauf verwiesen, dass immer mehr Menschen unter psychischen Krankheiten leiden. Was dabei meist verschwiegen wird, ist, dass das, was als psychisch krank gilt, historisch und aushandelbar ist. Um festzulegen was als Krank gilt, treffen sich Komissionen die dann bestimmen, was in den USA oder hier Symptome von Krankheiten sind. Dann streiten sie sich, und dann kommen allerlei krude Sachen dabei rum, wie beim DSM-IV “Gender-Dysphoria” oder die Geschichte mit der krankhaften Trauer.

Wie in der Debatte ums DSM-IV wird schon die einer oder andere Diagnose in Frage gestellt, mal überlegt, ob Trauer nun doch nicht krankhaft ist oder sogar die Normalität irgendwie etwas schräg ist. Aber dann gibt es ja die “echten”, “wirklichen” Krankheiten. Diejenigen, die körperlich nachgewiesen werden können. Und da das so wichtig ist, versuchen Forscher_innen die Folgen von Traumata im Gehirn nachzuweisen – erfolgreich. Für eine emanzipatorische Kritik ist das mehr als beunruhigend, wenn beispielsweise Gewalterfahrungen nur noch dann anerkannt werden, wenn sie im Gehirn nachgewiesen werden. Auch heute braucht es bereits eine psychiatrische Diagnose, um auch “echt” traumatisiert zu sein. Was das für die Anerkennung von Leiden bedeutet, habe ich hier schonmal versucht zu fassen.

Es gibt Kritik an dieser aktuellen Aktion. Doch diese Kritik bezieht sich vor allem auf Datenschutzfragen und die Problematik, dass das Bekanntwerden von “psychischen Krankheiten” Konsequenzen führen kann. Das ist eine berechtigte Kritik, wenn sie auch vollkommen verkürzt daher kommt. Aber ja. Konsequenzen! Die gibt es einige:

“Wenn jemand eine schwere Persönlichkeitsstörung oder eine Schizophrenie hat, ist das natürlich ein ernstes medizinisches Problem, das gegen eine Verbeamtung spricht.” (Thomas Hilbert in Die Zeit)

Aber sicherlich ist es eine sehr gut Idee, Menschen mit Therapiehintergrund (welche Hintergründe es heute nicht alle gibt!) ihre Gesichter herzeigen zu lassen. Alles eine Frage des Stolzes! Zieht auch niemals unfreiwillige Pathologisierungen nach sich… Es wird sichtbar: Auch bei den Kritiken bleiben psychische Störungen als etwas gesetztes, naturalisiertes unkommentiert stehen. Auch hier fehlt ein Bezug auf ein psychiatrisches System, dass nicht erst seit diesem Jahrhundert Menschen klassifiziert und einsperrt – mit der Begründung, diese Störungen würden Menschen gefährlich, unberechenbar machen. Zu ihrem eigenen Schutz ist manchmal eine Internierung sinnvoll. Menschen mit psychiatrischen Diagnosen können immer wieder entmündigt und eingewiesen werden. Wenn die Diagnose “Depression” lautet, mag das nicht so schnell gehen als wenn das Konstrukt “paranoide Schizophrenie” heißt – doch der Herrstellungsprozess dieser Krankheiten basiert auf psychiatrischem Wissen, dass nun nicht gerade eine rühmliche Geschichte hat.

Teil einer feministischen Kritik ist es also, nicht nur die Konstruktion von Psychisch Kranken zu hinterfragen, sondern auch zu prüfen, wie sehr medizinischen Wissen naturalisiert, Geschlechterverhältnisse aufrechterhält und Menschen die nicht ins Schema passen aussondert. Die Trennung von gesund und krank ist keine natürliche, sondern eine Geschaffene. In der Vergangenheit gab es zum Beispiel mal die Trennung von Leben und Tod als relevante Bezugsgrößen. All diese Aspekte machen den Konstruktionscharakter dessen deutlich, was in der Kampagne “Ich bin in Therapie” als Stigma bezeichnet wird. Die Aktion jedoch ist wiedermal eine weitere der Art ich-möchte-helfen. Ein paar Psychostudis und Psycholog_innen haben sich zusammengetan und gedacht, hey, machen wir mal was gutes und Befreien unsere Kund_innen von ihrer Scham, sich von uns analysieren und therapieren zu lassen. Die Macht möge mit uns sein. Sie wollen doch nur helfen, nur denen helfen, die an psychischen Störungen leiden. Kapitalismus, Patriarchat, white supremacy… das Problem sind die Krankheiten, die sind nämlich im Gehirn nachweisbar und müssen nur endlich von ihrem Stigma bereinigt werden! Ein Hoch auf die neutrale, objektive Medizin!

Bevor ich mich nun weiter in meiner krankhaften Polemik verliere, beende ich diesen Text und fluche eine Runde auf Psychologiestudent_innen und ihre tollen Ideen, den Mangel an Kontextualisierung, Gesellschaftskritik und eine Naivität, die mich echt vom Hocker haut.

6 Gedanken zu „Ich bin in Therapie – Kontextfrei und Spaßdabei. Eine Polemik.

  1. Renée

    “…eventuell weit mehr, als du vermuten würdest. […] Das bedeutet, dass etwa jede_r Dritte bis Vierte innerh…” dass “du” hier psychisch “gesund” ist, bleibt auch mal wieder selbstverständlich. Es geht natürlich wieder um die “Anderen” komischen, psychisch Kranken/in Therapie seienden, die hier mal den “Normalen” gezeigt werden sollen, dass sie doch nicht sooo komisch sind, wie “man” immer dachte… ja ja ja vielen Dank auch. Sarkasmus aus.

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  2. Hannah

    was ich an der Thematik “Datenschutz” “Gesichtzeigen” blabla da grad auch dran spannend find:
    “Ja- wir lassen das jetzt rechtlich prüfen, weil wir müssen die, die ihre Gesichter jetzt hier gezeigt haben schützen” Adios Eigenverantwortung, ohai Doppel- äh moral? denk? Doppelmoppelkotze?! “Weil ihr durch seid, schützen wir euch, die wir euch sagten, hier könnt ihr euer Gesicht zeigen because of gegen Stigmata”
    Dass da auch ein Ausläufer der Stigmatisierung läuft, wenn man sich über die Entscheidung von Menschen stellt, bleibt ausgeblendet.

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