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hintergrundgeräusch

es klingelt der wecker. es ist früh am morgen. ich stehe auf, gehe ins bad. duschen, deo wählen. ich greife nach den sorgfältig am abend zurechtgelegten kleidungsstücken. eine stumpfhose,eine sportshorts, unterwäsche und ein Hemd. weiß mit streifen. langärmlig. ein schwarzes top drüber. elegant-lässig.ich knöpfe die ärmel zu,ziehe sie runter bis zum handgelenk. es passt genau. Weiterlesen

„Self-harm WORKS.“ Eine blutige Sprache und ihr emanzipatorischer Gehalt

Weiter geht es in der Wahnsinnsreihe mit dem Thema Selbstverletzung.Gedichte und Prosa gibt es schon einiges zum Selbstverletzung von mir: Narbenkind, verkleidet, Nur ein Gedanke, Gewitterkind, Fassadenrisse, Schritt für Schritt.
Im folgenden Text will ich Selbstverletzung als Kommunikation lesen. (Ich beziehe mich meist aufs Schneiden, das Meiste gilt aber auch für viele andere Formen der Selbstverletzung.) Viele der Gedanken hat auch Clare Shaw (Ich empfehle besonders das erste Gedicht mit dem tollen Satz „I do not believe in silence.) bei einer Tagung toll in Worte gefasst, daher ist der Artikel sehr von ihr inspiriert. Außerdem lese ich gerade ein tolles Buch: A Bright Red Scream von Marilee Strong. Und dann stelle ich noch nebenbei die steile These eines emanzipatorischen Charakters von Schnitten in die eigene Haut auf. Widersprüchlichkeiten versprochen. Weiterlesen

Narbenkind

Ganz einsam sitzt sie da
beobachtet die Welt
die lächelt die Leute an
doch wenn keiner guckt
zieht ein Schatten über ihr Gesicht
ein Ärmel ist ihr hochgerutscht
rote Striche ziehen Blicke an
erstaunt, mitleidig, entsetzt
sie versuchen es zu verbergen
wenden sich schnell ab
und fragen sich ganz leise
was passiert ist,
dass aus dieser jungen Frau
ein kleines Narbenkind wurde.

Gewitterkind

Sie sitzt da, die Leinwand auf den Knien und lauscht dem Unwetter.
Draußen zucken helle Blitze über den ganzen Himmel, erleuchten die Bäume, deren schwarze Gestalt hin und her wankt.
Sie versucht die Schönheit, die Faszination des Gewitters mit ihren Farben einzufangen. Blauabstufungen, Schwarztöne, helle Streifen.
Sie malt und malt, doch die Welt lässt sich nicht packen, die Farben sind nicht intensiv genug, die Farben passen nicht.
Sie können den Sturm nicht wiedergeben.
Auch nicht den in ihrem Kopf.
Sie greift nach einer roten Tube und drückt sie zusammn. Aggressiv verteilt sie die Farbe, schlägt auf die Leinwand ein, bis das Rot den Gewitterhimmel bedeckt.
Und dann springt sie auf, rennt hinaus in den Regen.
Sie schreit.
Sie schreit laut und wild, schlägt das Bild in die Erde.
Und während sie mit geballten Fäusten dasteht und weint verläuft die Farbe, und das nasse Gras färbt sich rot.

Schritt für Schritt

Paula sitzt allein auf ihrem Bett. Sie hält ihren Teddy fest im Arm, doch sie spürt ihn nicht. Sie fährt mit den Fingern über das Fell.
Sie weiß, dass es flauschig und weich ist, aber sie fühlt es nicht.
Paula versucht aufzustehen, doch ihre Beine tragen sie nicht.
In ihr ist alles leer.
Taub und stumm sitzt sie da, sehnt sich nach Leben – und findet nur Nebel.
Es ist nichts da.
Paula weiß, was ihr helfen wird. Neben ihr liegt das kleine, schwarze Kästchen. Der Schmerz wird ihr helfen wieder zu spüren, wieder zu wissen, dass es sie gibt.

Paula tanzt. Sie tanzt wild und ausgelassen.
Alle quälenden Gedanken sind verschwunden hinter einer Mauer aus packenden Beats und der betörenden Wirkung von Alkohol und Gras.
Sie hat sich selbst ausgeschaltet, weil sie sich nicht ertragen kann.
Sie spürt die Nähe, ist ungehemmt, kann sie zulassen und genießen.
Paula verliert sich im Rausch.
Timos Hände stören sie nicht.

Nachts stolpert Paula nach Hause, nicht klar im Kopf. Sie stopft alles Essbare in sich hinein, will zur Ruhe kommen. Die innere Anspannung quält sie, sie sehnt sich nach ein bisschen Frieden.

Und am Morgen bleibt ein schaler Geschmack zurück.
Paulas Kopf droht zu platzen und der Verband um ihren Arm ziept und kneift.
Was ihr gestern noch half zu überleben quält sie jetzt – wie soll sie den neuen Tag beginnen?
Paula ist übel, sie schämt sich. Sie fühlt sich benutzt, ekelt sich vor sich selbst. Und wieder neue Narben am Arm.
Paula rollt sich ganz klein zusammen und fängt an zu weinen.

Paula hat geschlafen. Paula hat weitergemacht.
Sie hat wieder ein Stück Selbstachtung verloren, jedes letzte Stück Respekt.
Und doch… sie ist immer noch da.
Langsam wächst in Paula ein Wunsch. Erst ist er nur ganz klein, aber sie hütet und pflegt ihn. Und der Keim wird größer, ein Sprößling entsteht.
Der Wunsch nach Normalität.
Nach innerer Ruhe. Nach einer Pause im Sturm. Nach Nähe, die nicht weh tut. Nach Selbstrespekt.
Paula wünscht sich Frieden, Frieden vor sich selbst. Kein Hass, keine Drohungen, keine lauten Stimmen und Geräusche, die sie vom Leben abhalten wollen.
Paula will kämpfen, will doch alles anders machen. Aber sie ist müde, müde und erschöpft. In ihr tobt ein Sturm, unterbrochennur durch absolute Leere.
Paula will kämpfen, doch wie kann sie sich finden? Verloren im Chaos, verloren im Nichts.

Mühsam hebt Paula sich aus dem Bett. Sie muss sich festhalten. Langsam torkelt sie ins Bad, ihre Beine geben nach. Sie setzt sich auf den Wannenrand und läßt kaltes Wasser über ihre Beine laufen.
Nur ganz langsam nimmt sie etwas wahr. Ihre Hände suchen ein kleines Fläschchen, sie reibt sich Minzöl unter die Nase.
Als Paula aufsteht, muss sie nicht halb kriechen. Sie steht unsicher, aber sie steht. Paula dreht die Anlage auf und beißt in eine Chilischote. Erst spürt sie nichts, doch dann klärt sich ihr Blick.
Noch immer ist das Verlangen, sich zu zerstören, groß.
Doch Paula kann wieder denken. Sie nimmt das Kästchen, das immer noch auf ihrem Bett liegt, wiegt es in den Händen – und schließt die Klingen weit hinten in ihrem Schrank ein.

Paula geht es nicht gut. Aber sie hat ein Stückchen Selbstachtung wieder gewonnen.
Und statt einer Narbe bleibt lediglich der brennende Geschmack von Chili im Mund zurück.

13. August 2008

Nur ein Gedanke…

Am Tag und in der Nacht
Beherrscht von einem Gedanken
Mit grenzenloser Macht
Er bildet stetig neue Ranken

Jede Ablenkung sinnlos
Er schaut dir ins Gesicht
Und sagt dann bloß:
Du schaffst es nicht

Greiff nach der Klinge
Schneide in die Haut
Gib’s auf, das Geringe
Im Kopf tönt es laut

Mit unendlicher Gier
Durchdringt er dein Herz
Und verlangt von dir
Den erlösenden Schmerz

Hässlich

Sie sitzt da, starrt auf den Teller. Die langen Haare fallen ihr ins Gesicht. Niemand sieht ihre Augen. Niemand sieht ihren starren Blick.
Fest umklammern ihre Hände Messer und Gabel. Ihre Finger sehen so aus, als würden sie sich in das Metall krallen wollen.
Vor ihr liegt eine halbe Scheibe Brot, dünn beschmiert.
Um sie herum reden sie. Worüber? Das weiß sie nicht. Sie ist darauf konzentriert, ein winziges Stückchen abzuschneiden. Langsam führt sie es mit der Gabel zum Mund. Mit aller Kraft zwingt sie sich, den Mund zu öffnen.
Bloß nicht auffallen.
Lächeln.
Sie will schlucken, aber ihr Hals ist wie zugeschnürrt.
Als sie es dann doch schafft rutscht ihr das Brot wie ein schwerer Steinbrocken in den Magen.
Ihr Bauch knurrt, sie hat Hunger. Aber sie kann nicht essen.
Ein bisschen Brot muss sein.
Schön langsam essen, dann fällt es nicht auf.
Wie viel Zeit wohl vergangen ist? Sind die Anderen schon fertig?
Erleichtert blickt sie auf.
Dann ergreift sie Panik. Schnell steht sie auf, nimmt ihren Teller und verlässt die Küche.

Sie steht vor ihrem Spiegel. Sieht sich selbst. Ein dickes, hässliches Mädchen. Fett. Nicht wie die Anderen. Nicht begehrenswert. Abstoßend.
Sie will schreien, will sich zerstören.
Ihre Wut, ihre Abscheu droht sie zu zerreißen. Sie hält den Hass nicht mehr aus.
Sie stößt einen lautlosen Schrei aus, zerrt an ihren Haaren, sie sinkt zu Boden.
Sie weint, doch kein Geräuscht kommt über ihre Lippen und ihre Augen sind staubtrocken.

Sie will sich auflösen. Einfach zerfließen in der Luft.
Sie muss dünn werden.
Und irgendwann… ist sie dann nicht mehr da.