Kategorie-Archiv: Wahnsinnsreihe

Triggerwarnungen und Worte splashen – und wer schließt wann eigentlich wen aus und ein?

Warum noch ein Text zu Triggerwarnungen
Ich dachte erst: Sicherlich schon total durchgekaut das Thema. Dann habe ich recherchiert und nichts gefunden, dass mich überzeugt hat. Gleich vorweg: Ich bin kein Fan von Triggerwarnungen und erst Recht nicht von Splashen (Die Vokale bei bestimmten Worten durch Sternchen ersetzen). Aber die Texte gegen Triggerwarnungen waren so unterirdisch – in diese Linie möchte ich mich nicht stellen.
Aktuell wird das Thema in der ak aufgegriffen mit dem Text: „N-Wort, Sl*ts und Triggerwarnung – die neuen linken Sprachpraktiken schaffen vor allem eines: neue Ausschlüsse“. So ganz wird es mir nicht deutlich worum es in diesem Text eigentlich gehen soll. Sexismus wird mit Rassismus verwechselt und Ausschluss mit Diskriminierung gleichgesetzt. Es wird ein Geheimbund von Eingeweihten herbeifantasiert – woher auch immer. Ganz viel dreht sich um Ausschluss – dabei geht es doch gar nicht darum.
Triggerwarnungen oder splashen sind keine ausschließende Sprachpraxis. Ja, es ist ungewohnt wenn Vokale fehlen – aber die werden nicht zum Verständnis benötigt. Es mag irritieren. Irritation ist aber gut, weil sie zum nachdenken anregt. Die Normalität durchbricht. Ich liebe Irritationen. Auch wenn es manchmal keinen Spaß macht und nicht leicht ist. Muss es aber auch nicht sein. Warum ich es trotzdem nicht gut finde, steht weiter unten. Weiterlesen

„Self-harm WORKS.“ Eine blutige Sprache und ihr emanzipatorischer Gehalt

Weiter geht es in der Wahnsinnsreihe mit dem Thema Selbstverletzung.Gedichte und Prosa gibt es schon einiges zum Selbstverletzung von mir: Narbenkind, verkleidet, Nur ein Gedanke, Gewitterkind, Fassadenrisse, Schritt für Schritt.
Im folgenden Text will ich Selbstverletzung als Kommunikation lesen. (Ich beziehe mich meist aufs Schneiden, das Meiste gilt aber auch für viele andere Formen der Selbstverletzung.) Viele der Gedanken hat auch Clare Shaw (Ich empfehle besonders das erste Gedicht mit dem tollen Satz „I do not believe in silence.) bei einer Tagung toll in Worte gefasst, daher ist der Artikel sehr von ihr inspiriert. Außerdem lese ich gerade ein tolles Buch: A Bright Red Scream von Marilee Strong. Und dann stelle ich noch nebenbei die steile These eines emanzipatorischen Charakters von Schnitten in die eigene Haut auf. Widersprüchlichkeiten versprochen. Weiterlesen

Pathologisieren? NOT! Ein Paradestück in 5 Akten.

Worte zur Begrüßung.
Eigentlich bin ich bei Kommentaren relativ erbarmungslos. Das ist der Vorteil dieses Internets: Ich kann blöde Menschen einfach blocken und ihren Schmarn löschen. (Gut, manchmal würde einfach mal zutreten mehr Spaß machen, aber ich nehme was ich kriegen kann.) Aber diesen Kommentar von Lothar möchte ich euch nicht vorenthalten, gerade weil der erste Satz schon reicht. Er zeigt einfach beispielhaft, was an der Pathologisierung von Frauen problematisch ist und führt genau vor, wie das funktioniert. Außerdem macht er genau das, was ich befürchtet hatte: Das Menschen mich in diesem Internet künftig über eine Diagnose definieren, die ich selbst kritisiere. Weiterlesen

Performative Krisenbewältigung

Was tun, wenn die Psyche mal wieder Achterbahn fährt und mir von den Loopings kotzübel wird? Ich bin damit immer noch völlig überfordert. Als Jugendliche habe ich gelernt Aggressionen gegen andere sind böse. Und als Kind habe ich schon gelernt, dass ich nichts wert bin. Jap, Schule ist scheiße. Einself.
Also was tun, wenn es mit scheiße geht, wieder alles zu viel war und ich nicht weiter weiß? (Also außer den Klugscheißerinnenmodus für mich zu aktivieren und zu erklären, warum Patriarchat und Leben eh daneben und nicht zu reparieren ist.)
Irgendwann habe ich mal diese blöden Sprüche wie „Du musst dich erst selbst lieben“ (bitte dazu eine quäkige, hohe Stimme vorstellen) ignoriert und es andersrum versucht: „Hey, ich hab ne Verantwortung für mein Leben. Muss ich mich wohl auch drum kümmern. Muss es ja nicht gern tun.“
Darin bin ich ziemlich professionell geworden. Geübt. Und manchmal tu ich es sogar gern.
In der Regel sieht es aber etwas…ungelenkaus.

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Kooontext, wo bist du? Die „Borderline-Persönlichkeitsstörung“ im Diagnosespaß Teil II

Dieser Teil wird etwas theoretischer. Teil 1 mit meinem persönlichen Start findet ihr hier.
An der Borderline-Diagnose gibt es so viel zu kritisieren, dass ich gar nicht weiß, wo ich anfangen soll. Vielleicht vorweg: NEIN, wir sind nicht alle „ein bisschen Borderline“. Die Diagnose ist problematisch, das Erleben dahinter jedoch sehr real. Und NEIN, das kenne nicht alle „auch ein bisschen“. Weil „Borderline“ nicht für „ein bisschen“ steht sondern für Extrem. In allen Bereichen. (Warum Extrem auch ganz gut ist, erklärte ich hier). Hinter allen Konstruktionen stecken auch reale Erfahrungen. Und bei einer Kritik an Diagnosen ist es wichtig, diese Erfahrungen eben nicht zu relativieren, Be-hinderungen (meist durch Erwartungen der Gesellschaft) sichtbar zu machen und zu respektieren, wenn Betroffene das Berufen auf die Diagnose als Hilfsmittel in Anspruch nehmen.
Mir fällt es sehr schwer die Gratwanderung zu schaffen, die sich zwischen einer oft pauschal antipsychiatrisch geprägten Linken und einer total unpolitischen Ansammlung von vereinzelten Betroffenen bewegt. Weil ich beiden Seiten gerne eine Menge entgegenschleudern würde. Weil alternative Strukturen fehlen um mit Schmerz, Panik, Depression und dem Emotionschaos umzugehen. Weiterlesen

Diagnosespaß Teil 1: „Das ist ja nicht so schlimm“

Bei dem Thema weiß ich gar nicht wo ich anfangen soll. Gesellschaftskritik, persönliche Erfahrungen und Absurditäten gehen wieder Hand in Hand. Es sprengt einen Blogartikel total also verzeiht das viele anreißen. Ich habe viele verschiedene Diagnosen bekommen, mit manchen konnte ich umgehen (wenn ich dachte es ist stimmig) oder ich wurde wütend oder war verletzt, angegriffen. Ich glaube eine meiner ersten Konfrontationen damit war bei meiner zweiten Therapie. Ich hatte die ganze Zeit schon das Gefühl, dass dieser Typ mich nicht ernst nahm, dachte, ich hätte keine ernsthaften Probleme. Er sagte ich müsste ja nur mal ein bisschen Kontrolle abgeben. (Was zu verbissenen Kämpfen führte weil ich mich weigerte einen bescheuerten Stein geben die Wand zu werfen, aber egal.) Er wollte meine Selbstverletzungen sehen. Dabei war mit unwohl, aber wusste auch nicht so recht wie nein sagen. Unsicher zog ich meinen Ärmel hoch. Er griff nach meinem Arm. fuhr mit dem Finger über die Narben, lehnte sich dann zurück und meinte: „Das ist ja nicht so schlimm.“
Das saß.
Ich war schockiert und überfordert und habe mich bloßgestellt gefühlt. Es war als hätte ich mich ausgezogen und wäre gemustert worden um dann festzustellen: Unwichtig. Wertlos. Bloß vor allem.
Es war als würde mir die Legitimität meines Schmerzes abgesprochen. Dabei zeigt sich der doch nicht in Wunden auf der Haut! Die können doch eh niemals so tief sein wie sie sein müssten um den Schmerz zu zeigen.
Trotzdem war es auch Sprache für mich. Mit mir selbst sprechen können. Überhaupt eine Kommunikation finden. Da ich keine Sprache fand, habe ich irgendwann meinen Schmerz versucht auf meine Haut zu schreiben. Etwas sehr persönliches, was damals einfach nur sehr wenige Menschen zu sehen bekommen haben. Etwas an meinem Körper, an meinem Leben, was ich entschieden habe.
Und dann kommt dieser Mensch und sagt: Ist ja nicht so schlimm. Während ich ständig panisch fragte ob er mich ernst nehmen würde. Auch heute habe ich zugegeben noch ein Problem damit, meine Gefühle auszudrücken, ich kann über vieles sehr sachlich erzählen, aber selten die dazu passenden Emotionen zeigen und Gesichtsausdrücke finden. Ein Lächeln erscheint mir einfacher. Aber ich sagte ihm doch, wie es in mir aussieht. Bat darum, ernstgenommen zu werden. Zeigte sogar meine Narben obwohl sich das wie Nacktsein anfühlte.
Auf der Rechnung stand dann: „Pubertätskrise“.

Das war meine erste Diagnose. Irgendwann ignorierte ich die Einschätzung dieses Menschen weil es mir immer schlechter ging. Und mein Psychiater suchte mir eine Klinik raus. Ich rief an und wurde immer weitergeleitet, bekam einen Fragebogen. Bekam ein Vorstellungsgespräch. Bewerbung und Vorstellungsgespräch. Überprüfen, ob ich auch alle Kriterien erfülle um dem Club beitreten zu dürfen. Ich informierte mich. Ich wurde genommen.
Und mit der Aufnahme ins DBT Programm (eine störungsspezifische Therapie, Dialektisch-Behaviorale Therapie) stand dann auch die Diagnose im Raum: Borderline-Persönlichkeitsstörung. Damals war ich erleichtert. Ich war erleichtert, weil ich mich endlich in meinem Schmerz ernstgenommen gefühlt habe. Und ich habe es gehasst wenn Menschen mich so abschätzig anschauten und meinten: DU sollst Borderline haben? Du machst doch nicht…/ hast doch nicht… was auch immer. Gab ja schon da ein tolles Bild in den Medien. Borderlinerinnen haben ständig Sex und Wutausbrüche und sind total manipulativ. Yeah.
Für mich passte das Gefühlserleben.
Und die Zweifel kamen ja auch nicht aus einer Kritik an gesellschaftlichen Verhältnissen, an patriarchaler Kontrolle oder Zuschreibungen. Sondern die Zweifel bezogen sich darauf, dass ich ja „so krank nun auch nicht wäre“.
Deswegen tu ich mir auch heute noch schwer eine Kritik an der Diagnose zu formulieren. Weil ich nicht will, dass mir mein Gefühlserleben aberkannt wird und ich in dieser Klinik und in dieser Therapie zum ersten Mal das Gefühl hatte, dass ich wirklich ernstgenommen werde.
Gerade wird es auch viel im Kopf, ich versuch nächstes Mal dann mal weiter zu machen mit der Kritik an meiner „Persönlichkeitsstörung“.
(Hier findet ihr Teil II: Kooontext, wo bist du? Die „Borderline-Persönlichkeitsstörung“ im Diagnosespaß Teil II )

Extremismus schlägt Mittelweg

Ein weiterer Text aus meiner Psychoreihe. Diesmal geht es mehr um eine der Lieblingslebensvorstellungen meiner Therapeut_innen. Wenn ich diesen Text vor ein paar Tagen geschrieben hätte, würde es anders anfangen, würde ich lautstarker propagieren, kämpferischer schreiben. Jetzt ist gerade alles ein bisschen anstrengend.

Wie ihr vielleicht aus andern Texten erlesen konntet, habe ich durchaus einiges an Therapie- und Psychiatrieerfahrungen gesammelt. Diagnosensammeln gespielt und tolle Vorschläge bekommen, was ein lebenswertes Leben ist. Was geht und was sowieso keine Zukunft hat. Weiterlesen

Anekdoten aus der Psychiatrie – „Nein, ich bin NICHT unglücklich!“

Unter der Kategorie „Wahnsinn“ bring ich künftig künftig kleine Anekdoten aus dem psychiatrisch/psychotherapeutischem System. Gut, witzig sind die in der Regel nur bei entsprechendem Galgenhumor. Aber welche Dialoge alles geführt werden können… Ich habe auch gute Einzelerfahrungen gemacht, mit ner netten Therapeutin, coolen Pflegerinnen und so weiter. Aber mir geht es darum, langsam eine Struktur zu checken, die in diesem System steckt: Entmündigung, Patriarchale Kontrolle, Unterdrückung von Wut, Kapitalistische Verwertbarkeit und vor allem Normierung. Oder eben eine dauerhafte Abweichung als „krank“ zu bilden, damit sich die Mehrheitsgesellschaft bloß nicht hinterfragen muss.
Nicht, dass ich etwas gegen Psychiatrie im Speziellen habe. Kann im Individualfall helfen. Ich habe mir immer das rausgepickt, was mit geholfen hat. Buffet-Prinzip. Alles mal ausprobieren und nehmen was schmeckt. Das erweitert den Handlungshorizont. Aber irgendwie ist dieses Prinzip bei der Institution noch nicht ganz angekommen. Denn es gibt ja „Expert_innen“, die wissen was mir schmecken muss. Auf Grund einer Diagnose. Oder eines Fehlverhaltens/denkens. Und wenn mensch tendenziell eh schon genug zu kämpfen hat, ist es nicht so einfach durchzukriegen, was selbstverständlich sein sollte. Dass ich nicht essen muss, wovon mir schlecht wird.

Wer es noch nicht ausprobiert hat: es ist sehr einfach in der der Psychiatrie zu landen. Wenn es egal ist, wohin es geht. Die Freiwilligkeit sei dahingestellt wenn die Wahl zwischen Feuerwehr und „freiwillig“ gestellt wird. Aber nun gut. Geht eben schnell. Als „Krisenpatientin“ (Verdrängungsmechanismen versagten, daraus folgte Überforderung und Gefühle von Leere) führte ich dann folgendes Gespräch:
„Ich bleibe nur bis ich wieder grob klar komme, mein Umfeld tut mir gut und es ist nur eine Notlösung.“
Ärztin schweigt. Dann: „Fühlen Sie sich unglücklich?“
„Nein. Leer.“
Blabla folgt. Dann Ärztin erneut: „Wegen Ihrer Traurigkeit…“
„…ich bin nicht traurig.“
Erklärungsversuche was das heißt mit der Leere, dem Nichts und den Gedanken von Früher. Das ich ein bisschen Zeit brauche.
Ärztin unterbricht: „Ich verschreibe Ihnen…“
„…danke, ich möchte nichts. Ich brauche nur ein paar Tage um wieder klarzukommen.“
Ärztin: „Aber wenn Sie sich unglücklich fühlen…“
„Ich bin nicht unglücklich.“
Ärztin: „Aber wenn Sie Depressionen haben…“
Ich gab auf. Wie oft sollte ich noch erklären, dass ich NICHT depressiv war? Aber klar, einmal depressiv, immer depressiv. Einfaches System.
Wie es überhaupt dazu kam war genauso lustig. Ich völlig überfordert, Alpträume, Vergangenheitsblablubb und kaum noch Gefühl für die „Realität“. Ich sagte meiner Therapeutin, dass ich es gut fände, sich damit zu beschäftigen. Sie völlig abwehrend: „Wir können uns damit jetzt nicht beschäftigen. Sie sind nicht stabil genug.“
Was ich wollte spielte also wieder keine Rolle.
Nach dem ersten Abendessen klopfte es an der Zimmertür. Pfleger: „Sie haben ihre Medikamente nicht abgeholt.“

„Ich sagte doch, dass ich keine will.“
„Das müssen Sie mit der Ärztin besprechen.“
Ich war müde und erschöpft und wollte nicht mehr kämpfen. Und ich war wütend aber konnte einfach nicht mehr. Also fügte ich mich.
Und was gabs: Tavor. Beruhigungsmittel. Tötet so ziemlich jeden Gefühl ab. Nicht, dass ich nicht sagte, dass ich mich leer fühle. Natürlich hat es mir nicht geholfen. Mir ging es noch viel schlechter. Also ging ich am nächsten Tag zum Pflegepersonal. Erklärte, dass ich keine Medikamente will und das auch gesagt habe.
„Aber ihre Ärztin hat das mit ihrer ambulanten Therapeutin abgesprochen.“
ABER NICHT MIT MIR!, wollte ich die Personen anschreien und presste nur wütend und ungläubig hervor:
„Aber ich sagte doch ich will nicht.“
Da können sie jetzt auch nichts machen hieß es. Nach anstrengenden Debatten stellte sich heraus, dass die Ärztin schon Wochenende hatte und das erst Montag geändert werden könne. Ich hatte keine Bock mehr auf Diskussionen.
Also habe ich die Drogen brav abgeholt – und dann eingesteckt. Könnte ja ne gute Schwarzmarktgeldquelle sein.

Nach ner Woche kam ich besser klar – ohne Medikamente, die ich in Plastikschnapsbechern (lassen sich auch gut wieder verwenden) sammelte. Ich wollte wieder heim. Was ich mir einfach vorstellte, rein ging doch auch einfach.
„Das geht jetzt nicht so einfach.“
„Wies0 das?!? Ich will nach Hause! Sofort!“
Die tolle Ärztin erklärte mir dann erstmal, dass eine Krise normalerweise 10 Tage dauert. a) Wer legt das bitteschön fest? Und b) Warum sagt mir das niemand wenn ich sage, dass ich schnell wieder raus will?? Dann folgte der Oberknüller:

„Ihnen geht es jetzt ja nur so gut wegen dem Tavor. Das müssen wir erstmal ausschleichen.“

Wenn das nicht wahnsinnig macht…