Bei dem Thema weiß ich gar nicht wo ich anfangen soll. Gesellschaftskritik, persönliche Erfahrungen und Absurditäten gehen wieder Hand in Hand. Es sprengt einen Blogartikel total also verzeiht das viele anreißen. Ich habe viele verschiedene Diagnosen bekommen, mit manchen konnte ich umgehen (wenn ich dachte es ist stimmig) oder ich wurde wütend oder war verletzt, angegriffen. Ich glaube eine meiner ersten Konfrontationen damit war bei meiner zweiten Therapie. Ich hatte die ganze Zeit schon das Gefühl, dass dieser Typ mich nicht ernst nahm, dachte, ich hätte keine ernsthaften Probleme. Er sagte ich müsste ja nur mal ein bisschen Kontrolle abgeben. (Was zu verbissenen Kämpfen führte weil ich mich weigerte einen bescheuerten Stein geben die Wand zu werfen, aber egal.) Er wollte meine Selbstverletzungen sehen. Dabei war mit unwohl, aber wusste auch nicht so recht wie nein sagen. Unsicher zog ich meinen Ärmel hoch. Er griff nach meinem Arm. fuhr mit dem Finger über die Narben, lehnte sich dann zurück und meinte: „Das ist ja nicht so schlimm.“
Das saß.
Ich war schockiert und überfordert und habe mich bloßgestellt gefühlt. Es war als hätte ich mich ausgezogen und wäre gemustert worden um dann festzustellen: Unwichtig. Wertlos. Bloß vor allem.
Es war als würde mir die Legitimität meines Schmerzes abgesprochen. Dabei zeigt sich der doch nicht in Wunden auf der Haut! Die können doch eh niemals so tief sein wie sie sein müssten um den Schmerz zu zeigen.
Trotzdem war es auch Sprache für mich. Mit mir selbst sprechen können. Überhaupt eine Kommunikation finden. Da ich keine Sprache fand, habe ich irgendwann meinen Schmerz versucht auf meine Haut zu schreiben. Etwas sehr persönliches, was damals einfach nur sehr wenige Menschen zu sehen bekommen haben. Etwas an meinem Körper, an meinem Leben, was ich entschieden habe.
Und dann kommt dieser Mensch und sagt: Ist ja nicht so schlimm. Während ich ständig panisch fragte ob er mich ernst nehmen würde. Auch heute habe ich zugegeben noch ein Problem damit, meine Gefühle auszudrücken, ich kann über vieles sehr sachlich erzählen, aber selten die dazu passenden Emotionen zeigen und Gesichtsausdrücke finden. Ein Lächeln erscheint mir einfacher. Aber ich sagte ihm doch, wie es in mir aussieht. Bat darum, ernstgenommen zu werden. Zeigte sogar meine Narben obwohl sich das wie Nacktsein anfühlte.
Auf der Rechnung stand dann: „Pubertätskrise“.
Das war meine erste Diagnose. Irgendwann ignorierte ich die Einschätzung dieses Menschen weil es mir immer schlechter ging. Und mein Psychiater suchte mir eine Klinik raus. Ich rief an und wurde immer weitergeleitet, bekam einen Fragebogen. Bekam ein Vorstellungsgespräch. Bewerbung und Vorstellungsgespräch. Überprüfen, ob ich auch alle Kriterien erfülle um dem Club beitreten zu dürfen. Ich informierte mich. Ich wurde genommen.
Und mit der Aufnahme ins DBT Programm (eine störungsspezifische Therapie, Dialektisch-Behaviorale Therapie) stand dann auch die Diagnose im Raum: Borderline-Persönlichkeitsstörung. Damals war ich erleichtert. Ich war erleichtert, weil ich mich endlich in meinem Schmerz ernstgenommen gefühlt habe. Und ich habe es gehasst wenn Menschen mich so abschätzig anschauten und meinten: DU sollst Borderline haben? Du machst doch nicht…/ hast doch nicht… was auch immer. Gab ja schon da ein tolles Bild in den Medien. Borderlinerinnen haben ständig Sex und Wutausbrüche und sind total manipulativ. Yeah.
Für mich passte das Gefühlserleben.
Und die Zweifel kamen ja auch nicht aus einer Kritik an gesellschaftlichen Verhältnissen, an patriarchaler Kontrolle oder Zuschreibungen. Sondern die Zweifel bezogen sich darauf, dass ich ja „so krank nun auch nicht wäre“.
Deswegen tu ich mir auch heute noch schwer eine Kritik an der Diagnose zu formulieren. Weil ich nicht will, dass mir mein Gefühlserleben aberkannt wird und ich in dieser Klinik und in dieser Therapie zum ersten Mal das Gefühl hatte, dass ich wirklich ernstgenommen werde.
Gerade wird es auch viel im Kopf, ich versuch nächstes Mal dann mal weiter zu machen mit der Kritik an meiner „Persönlichkeitsstörung“.
(Hier findet ihr Teil II: Kooontext, wo bist du? Die „Borderline-Persönlichkeitsstörung“ im Diagnosespaß Teil II )
Boah, sowas macht mich wütend.
“Pubertätskrise” als Diagnose, das ist nicht angemessen!
Ich hab bei meiner ersten Diagnose “Borderline” draufgedrückt gekriegt, weil ich mich selber verletzt habe, bin aber zu dem Schluss gekommen, dass ich nie wirklich Borderlinerin war, sondern einfach nur mit dr ganzen Welt überfordert. Mit der etwa 5 Jahre später gestellten Diagnose (zwischen der ersten und dieser liegen noch einige andere) “Bulimia nervosa und EDNOS (eating Disorder not otherwise specified)” konnte ich eine ganze menge mehr anfangen.
ich persönlich habe immer darauf bestanden, eine TerapeutIN zu haben, wobei ich bei diesen (bis auf die eerste und die letzte) auch immer das Gefühl hatte, nicht ernst genommen zu werden -.-
Was mich aber wirklich ankotzt ist dieses obligatorische “Oh, Sie haben Narben an den Armen, das bedeutet, Sie leiden an einer Borderlinepersönlichkeitsstörung, nicht wahr?” (Durfte ich mir auch schon bei Vorstellungsgesprächen antun m(
Danke für deinen Post; danke für dein offenes reden darüber.
Mein Erlebnis mit meiner Therapeutin war ähnlich. Auf meine Aussage, dass ich mich ritze, hat sie sehr relativierend geantwortet. Es war, als wolle sie mir sagen: ,,Mach dich nicht wichtig.” Für mich war das schlimm, weil es mir bereits so schwer fällt, überhaupt Raum einzunehmen, und mein Geständnis war eine Form, mich und meine Schmerzen bemerkbar zu machen. Sie hat übrigens bei mir nix diagnostiziert, so wie sich auch die nächste davon zurückhielt; bis heute weiß ich nicht, was da eigentlich auf der ,,Rechnung” stand. Was völlig fehlte bei der ersteren, war Empathie. bei der ging alles nach: du musst dich nur etwas zusammenreißen, etc. Die zweite hörte einfach nur zu und ich hab bei ihr zum ersten Mal richtig heulen können über die Dinge, die passiert sind.
Auch dieser kontrollierte, reflektierte Umgang damit klingt sehr vertraut in meinen Ohren. Ich kenne die Symptome meiner Diagnose, die mein jetziger Therapeut mir stellte (nicht Borderline), und ich würde lieber wegrennen, als mich offen so zu verhalten. Ich hab die ganzen Symptome vor allem durchstudiert, damit mein Therapeut mir nicht in irgendetwas voraus ist, damit ich erkenne, wo er Suggestivfragen stellt. Ich weiß schon lange nicht mehr, was ich ,,bin”, sondern vor allem, was ich fürchte zu sein. Ich habe Angst, offen so zu sein, wie es in diesen Symptomen beschrieben steht. Was ,,positive” Effekte bewirkt. Ich weiß nicht wirklich, ob das ausreicht; ob dieser Umgang mit einer Persönlichkeitsstruktur nicht irgendwann gegen mich arbeitet oder es schon tut. Ich würde gerne mal wieder offen sagen können zu einem Menschen: ,,Ich habe angst, dass du mich verlässt”. Weil diese Angst da ist. Aber selbst wenn ich es jetzt nur denke, kann ich dieses Gefühl nicht mehr förmlich fassen. Es ist wie ganz weit tief vergraben.
Danke ihr Beiden für eure offenen Kommentare. Ja, Borderline gibts schnell auf Narben an den Armen. Dabei ist das doch (auch wenn Therapeut_innen das ungern glauben) nicht das Problem. Selten gehts doch wirklich darum.
@Bäumchen: Es ist schwer rauszufinden, wann die Kontrolle ein guter Schutz ist (gerade weil das psychiatrische System echt nicht auf Seiten einer Protestkultur steht… schon gar nicht auf feministischer…) – und wann es eben auch mal Zeit ist, los-/einzulassen.
Danke, danke für diesen ehrlichen Bericht. Ich habe mich in manchem schmerzhaft wieder gefunden. Dass dir gesagt wurde “Das ist ja nicht so schlimm” – das ist ganz schlimm!! Ich finde es immer wieder unfassbar, wie Menschen meinen mein/dein/unser/anderer Leid einfach einstufen zu können. Das ist so ungeheuer anmaßend! Und tut eben so weh.
Ich habe lange gebraucht, bis ich mich angenommen und ernst genommen gefühlt habe in meiner Thera und in meinem Umfeld – letztlich hat es geklappt (also für mein momentanes Erleben), was mich jetzt gerade zuversichtlich und froh stimmt. Doch das mit den Narben ist auch so ein Ding: viel zu oft habe ich das Gefühl, jetzt, wo ich mich nicht mehr offen selbst verletze, nicht mehr ernst genommen zu werden in meinen Gefühlen und Ängsten. Ganz nach – du tust dir nichts an, so schlimm kann’s ja nicht sein. Da muss sich viel ändern in den Köpfen der Menschen – wünsche ich mir zumindest.
Die Diagnose-Kritik lese ich später 🙂 Das fällt mir nämlich sehr schwer, weil für mich die Diagnose das war, wodurch ich erstmals Hilfe bekommen habe und mich ernst genommen und teils verstanden gefühlt habe. Dennoch mag ich die zunehmende Pathologisierung der Gesellschaft nicht. In links-emanzipatorischen, feministischen Kreisen ernte ich nur Unverständnis, wenn Menschen merken, dass ich meine Diagnose “mag”.
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