Performative Krisenbewältigung

Was tun, wenn die Psyche mal wieder Achterbahn fährt und mir von den Loopings kotzübel wird? Ich bin damit immer noch völlig überfordert. Als Jugendliche habe ich gelernt Aggressionen gegen andere sind böse. Und als Kind habe ich schon gelernt, dass ich nichts wert bin. Jap, Schule ist scheiße. Einself.
Also was tun, wenn es mit scheiße geht, wieder alles zu viel war und ich nicht weiter weiß? (Also außer den Klugscheißerinnenmodus für mich zu aktivieren und zu erklären, warum Patriarchat und Leben eh daneben und nicht zu reparieren ist.)
Irgendwann habe ich mal diese blöden Sprüche wie „Du musst dich erst selbst lieben“ (bitte dazu eine quäkige, hohe Stimme vorstellen) ignoriert und es andersrum versucht: „Hey, ich hab ne Verantwortung für mein Leben. Muss ich mich wohl auch drum kümmern. Muss es ja nicht gern tun.“
Darin bin ich ziemlich professionell geworden. Geübt. Und manchmal tu ich es sogar gern.
In der Regel sieht es aber etwas…ungelenkaus.

Ein Beispiel: Ich sehe eine Freundin auf dem Sofa, bei Kerzenschein mit Tee in der Hand. Sieht gemütlich aus. Wohltuend.
Also versuche ich das auch, dacht ich mal.
Teewasser aufsetzen kann ich. Ne Kerze gibt’s auch noch irgendwo in der WG. Tasse, Kerze, fertig. Aber ja, irgendwie sieht das… eben ungelenk aus.
Nicht so atmosphääärisch.
Pragmatik ist wohl nicht für alles geeignet.
Dabei fahre ich sonst gut damit. Achte auf meine Grenzen. Gehe nach Hause wenns nicht gut geht. Oder bleibe auch gleich mal im Bett. Mache mir keine Vorwürfe, wenn ich was nicht schaffe. Immer mit dem Satz: „Ist dann jetzt halt so.“
In linkspolitischen und/oder feministischen Kreisen kommt es häufig zu Überlastungen. Klar, soll mit Wenigen auch viel geschafft werden. Wenn das aber über die Gesundheit von Menschen weg geht – than it’s not my revolution.
Gewalt ist überall. Das schlaucht.
Wut rauslassen die verstanden wird hilft. Schreiben hilft. Musik machen hilft. Star Trek oder Lip service gucken hilft. Dumpf machen – und das ohne Vorwürfe.
Ich glaube ich komme gut klar, weil ich nehme was kommt und dann damit umgehe. Erst durch diese Pragmatik habe ich das Träumen wieder gelernt.
Ich gehe in jede Situation voll rein – und dann mit Stil.
Ich meine, ich sehe ein, ich muss für mich sorgen. Zwangsläufig. Aber wer sagt denn, dass ich es gernetun muss? Und warum zum Teufel sollte ich das ganze dann auch noch ernst nehmen?

Wenn ich heule, dann brech ich gerne filmreif in der Zimmermitte auf dem Boden zusammen. Wenn ich mir die Kante geben, dann mit mit Wein aus der Flasche und viel gelalle (egal zu welchem Zeitpunkt). Wenn ich im Bett bleiben, dann nur mit Serien, Süßigkeiten und Chips. Wenn ich gestresst bin renne ich albern im Forest-Gump-Zeitlupen-Stil. Um Absurditäten und Wirklichkeit zu spiegeln und in_frage_zu_stellen. Wenn es mir schon dreckig geht, dann will ich wenigstens die Show genießen (auch wenn ich die einzige Zuschauerin bleibe.)
Was ich jetzt noch lernen müsste, wäre die Sache mit Tee und Kerzen. Dass das Authentischer aussieht. Nur für die Performance.

5 Gedanken zu „Performative Krisenbewältigung

  1. bluespunk

    Danke für den Beitrag!

    Ja manchmal ist es eben zu viel verlangt, die ganze Selbstfürsorge auch noch gerne zu betreiben.

    Und trotzdem hilft auch das ab und an dumpf machen, an anderen Stellen genauer hinzugucken.
    Der allzu überreizte Blick findet vielleicht nichts mehr, oder dreht sich im Kreis.

    Zum Glück schmecken auch Kekse, die mit schlechter Laune gebacken wurden, schön schokoladig.

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