Ein weiterer Text aus meiner Psychoreihe. Diesmal geht es mehr um eine der Lieblingslebensvorstellungen meiner Therapeut_innen. Wenn ich diesen Text vor ein paar Tagen geschrieben hätte, würde es anders anfangen, würde ich lautstarker propagieren, kämpferischer schreiben. Jetzt ist gerade alles ein bisschen anstrengend.
Wie ihr vielleicht aus andern Texten erlesen konntet, habe ich durchaus einiges an Therapie- und Psychiatrieerfahrungen gesammelt. Diagnosensammeln gespielt und tolle Vorschläge bekommen, was ein lebenswertes Leben ist. Was geht und was sowieso keine Zukunft hat. Und für das meiste gibt es (wie beim Sport-Vorschlag) eine ganz tolle, einfach Lösung: Sie müssen einen Mittelweg finden. Immer.
Einen Mittelweg. Klang schon immer scheiße. Klang schon immer nach Kompromiss, nach halben Sachen. Ein Mittelweg zwischen den Extrem.
Weil extrem immer schlecht ist. (Wieso ist mir der Zusammenhang eigentlich erst jetzt aufgefallen?? Autsch.) Und böse natürlich.
Extrem muss bekämpft werden. Extreme Gefühle, extreme Handlungen, extreme Entscheidungen.
Es ist doch total verrückt, was fällt überhaupt unter dieses Extrem? Gerade bei den Gefühlen. Zu traurig, zu glücklich, zu depressiv, zu aggressiv. Steht im Diagnosensymptomkatalog. Wut kriegt einen eigenen Punkt:„Unangemessene, heftige Wut oder Schwierigkeiten, Wut zu kontrollieren (z.B. häufige Wutausbrüche,andauernde Wut, wiederholte körperliche Auseinandersetzungen).“
Was meine ganzen Therapeut_innen wohl dazu sagen würden, dass ich Streit suche. Dass ich abfeier wenn wir mit unser Feministgang Typen vor die Tür befördern. Ob das unangemessen ist? Zu extrem? Mir machts Spaß. Noch mehr Spaß hätte ich wohl wenn es nicht nötig wäre, aber so geb ich mir Mühe es wenigstens voll und ganz zu genießen. Ha.
Ist natürlich als Konzept fürs ganze Leben gedacht. Und da mein Leben irgendwie tendenziell sehr anstrengend war und ist, dachte ich, ich probier das mal aus. Diesen Mittelweg. Weil der doch so in ist. Und so weise. Oder etwas derartiges. Irgendwie hat mich das dann an meine Grenzen gebracht. Wenn ich achtsam darauf achtete, wann ich was wirklich schaffe, wann etwas zu viel wurde, wenn ich versuchte einen Mittelweg zu finden zwischen Überarbeitung und völligem Versagen und Nichtstun, wenn ich das versuchte – stellte ich fest, dass ich nicht mehr als drei Tage die Woche arbeiten kann. Dass ich nur wenig Politik machen kann. Dass mich Gespräche schnell belasten und überfordern. Dreitage-Woche finde ich okay. Politisch betrachtet. Was Lohnarbeit, Bafög und Universität angeht, das ist anders angelegt.
Aber ich konnte auch nichts anderes schönes mehr. Nicht schreiben, weil Schreiben etwas ist was mit Abgründen und Extremen zu tun hat. Irgendwann auch nicht mehr gut Musik machen. Und ich fühlte, etwas ist falsch.
Ich setzte meine Medikamente ab. Die Ärztin verstand das nicht. Fragte, ob es mir nicht gut damit ginge. Ich sagte: Doch, aber irgendwie zu gut. So als könnte ich mich nicht mehr schlecht fühlen. Alles auf einer Ebene. Das verstand sie nicht. Sie war nicht die einzige. Aber ich setzte mich durch.
Mir ging es wieder schlechter. Klar, so ohne Drogen sieht die Welt anders aus.
Dann probierte ich in diesem Sommer das andere Extrem. Ein Praktikum. 10 Wochen mit teilweise weit über 40 Stunden die Woche. Das habe ich sehr genossen. Daneben lernte ich für eine Prüfung, schrieb eine Hausarbeit, einen Praktikumsbericht und lebte mich in einer fremden Stadt ein. Ich begann wieder zu bloggen, fuhr allein nach Berlin zum feministisch fortbilden, lernte Twitter (@_Steinmaedchen) kennen , ging abends alleine aus und fing an Ideen für Filmchen zu entwickeln. Ich war nicht nur eine super Praktikantin und Studentin sondern endlich wieder kreativ. Was mir der Mittelweg nie ermöglichte.
Es war mir schnell klar, dass es ein Extrem ist. Dass es nicht gut ist, nie Pausen zu machen. Dass es seinen Preis haben würde. Dass es bereits seinen Preis hatte. Jede Nacht verfolgten mich Alpträume. Ich hatte keine Zeit und keinen Nerv mich damit auseinanderzusetzen. Aber ich überlegte (und überlege) ob es das nicht wert ist. Ob die Person, die ich für diese Zeit mal wieder sein konnte, ob die mir nicht so viel bedeutet, dass ich bereit bin, dafür dann auch wieder schlimme Zeiten zu ertragen. Statt dem Mittelweg.
Jetzt bin ich in der Zeit nach dem Hoch. Nach dem Stolz auf mich. Nach der Zeit, in der ich mich nicht mal nur nicht verabscheute, sogar ganz gern hatte. Jetzt bin ich in dem Loch, das aus Auseinandersetzungen mit Alpträumen, Schmerzen und Erschöpfung besteht. In dem Loch, in dem ich mit Menschen nicht gut kann, nicht als erstes sehe, was ich alles kann, sondern wie hässlich ich mich zum Beispiel finde.
Nervt, weil hab ich doch alles schon x-Mal durch. Nervt, aber ist wohl der Deal meiner inneren Konferenz. Da würde ich auch gern ab und zu jemand rausschmeißen. Und Hausverbot erteilen. Anstrengend.
Trotzdem bleib ich bei der Einstellung. Mittelweg ist scheiße .Ab jetzt auch psychologisch fundiert nach neusten Erkenntnissen by @PigeonsAreNuts (Merci! *kleineralsdrei*)
Mein Tipp: Bücher schreiben und viel Geld verdienen mit dieser neuen Extremismustheorie. Geistiger Diebstahl (oder wie auch immer das inzwischen heißt) erwünscht.
Alternativ demnächst in dieser Reihe: Diagnosenspaß.
Hi,
danke dass du das schreibst. Überhaupt, danke für deinen Blog. Den ,,Extremismus”vorwurf gabs von meinem jetzigen Therapeuten auch. Ärgern tuts mich sehr. Mein Leben bestand aus Extremen, in jeder Hinsicht und mir zu sagen, dass diese scheiße sind, macht mein ganzes Leben zu nem haufen Scheiße. Jetzt ist sovieles ,,eben”. Ich hab soviel Distanz zu den Menschen gewonnen, dass alles eben sein kann. aber andererseits scheint es, dass mich kein Mensch wirklich mehr berührt, dass mich nichts mehr bewegt.
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