Dies ist ein Text über „nicht-konsensualen Sex“. Er bezieht sich auf Erfahrungen, auf Diskussionen und ganz aktuell auch auf zwei Blogtexte, die ich einfach hier echt nicht verlinken möchte. Keine Verlinkungen für Kackscheiße. Mein Text ist nichts neues. Ein paar chaotisch-strukturierte Gedanken und Analyseelemente zu dem Thema. Einfach mal rausgehauen.
Beispiele und problematische Muster
Was wird denn so zu diesem „nicht-konsensualem Sex“ gezählt? Ein paar Beispiele.
Nach einer Ansage: „Nicht ohne Kondom“ einfach nochmal weiter versuchen den scheißpimmel aber auch unbedingt irgendwo noch reinstecken zu wollen. Oder ein Nein, ich behalte meine Hose an. Oder ein Nein, jetzt nicht. Oder ein wegdrehen. Oder ein „Das mag/möchte ich so nicht“, ein verbales oder nonverbales „Du tust mir weh, hör auf“. Orale Penetration in einer Geschwindigkeit, die ein verbales Nein unmöglich macht. Ihr wisst. All sowas. Sicherlich können viele unzählige dieser Situationen aufzählen. Sie sind alltäglich.
Verbuchen wir das ganze als unangenehme sexuelle Erfahrung. Eine Möglichkeit. Die Folgen:
Damit bleibt es ein individuelles Problem, des jeweiligen Partners (statistisch betrachtet wohl in dem Fall meistens Teil des Patriarchats). Aber ja, ein individuelles Problem. Eine unangenehme Erfahrung. In der eigenen, ganz persönlichen, privaten Vergangenheit. Der Typ war dann, wie so fein aktuell durch Texte geistert, einfach „ein Arsch“. Zack, Problem gelöst. Damit hat es auch nichts mit Gewalt zu tun, ist auch nicht so einseitig, denn wieso hat eine sich bloß auch auf so einen Mistkerl eingelassen.
→ Individualisierung
Nicht-konsensualer Sex. Enthält das Wort Sex, nicht das Wort Gewalt. Damit ist es eine sexuelle Erfahrung, keine Gewalterfahrung. Dann war es auch nicht so schlimm. Lediglich nicht mit Konsens. Was soll Konsens auch sein, dass ist doch auch nur so eine neue Erfindungen,Personen vorher zu fragen ob diese Sex wollen, und war so wie er dann passiert.
→ Relativierung
Schönen Sex, wer hat schon schönen Sex? Also gehört nicht-konsensualer Sex zum nicht-schönen Sex, den wir alle haben. Wir alle kennen doch, wenn uns etwas nicht so ganz viel Spaß gemacht hat. Gehört doch dazu!
→ Normalisierung
Hm, vielleicht gibt es dann einige die das doch wirklich auch nicht schön fanden. Dann lassen sich vielleicht so Begriffe wie: „ein bisschen übergriffig“, „nicht wirklich abgesprochen“ oder „ging schon so über ne Grenze“ verwendet, die das ganze schön harmlos klingen lassen. Wenn eine_r nämlich von sexualisierter Gewalt oder gar Vergewaltigung spricht, wird eine Regel gebrochen, eine Grenze überschritten, damit lässt sich eine Erfahrung nicht mehr so einfach übergehen.
→ Schweigegebot
Ich will jetzt nicht allen einreden, ab sofort alles was nicht konkret so abgesprochen war, als Vergewaltigung betiteln zu müssen. Wenn sich eine Situation einfach nicht so schlimm anfühlt, weil vielleicht anderen Faktoren stimmten oder was auch immer, ich will keine Person zwingen, ihre Erfahrungen so oder so bewerten zu müssen. Manche Erfahrungen werden unterschiedlich bewertet, gab es einen Vertrauensbruch, gab es klare Machtdemonstrationen, gab es Schuldzuweisungen, war die Erfahrung demütigend, erniedrigend, wie hat eine_r die Situation erlebt? Aber wichtig ist: Eine Vergewaltigung kann als solche auch bezeichnet werden. Die Definitionsmacht dafür liegt alleine bei den Betroffenen. (Mir ist klar, dass das juristisch nicht so ist, aber unser Rechtssystem stammt vom Patriarchat und hat kommt nicht mal bei der eigenen engen Definition zu Urteilen, also ist das für mich jetzt nicht so der Maßstab.) Und es ist mir wichtig, dass es eben nicht um individuelle Erfahrungen geht. Wie eine Person eine Erfahrung bewertet hat eben auch mit Gesellschaft zu tun. Ist es in meinem Umfeld okay offen über sexualisierte Gewalt zu sprechen oder ist es besser, nicht über „Privates“ zu reden? Oder geht Persönliches irgendwie schon, aber dann doch besser im Kontext von „schlechten Sexerfahrungen“?
Das Patriarchat zur Verantwortung ziehen
Das hier ist alles nichts neues, weder neuer Inhalt noch neue Worte, aber sie müssen wohl ständig wiederholt werden. Als Feministin ist es mir wichtig, aktiv zu werden gegen Individualisierung, Normalisierung und Relativierung von sexualisierter Gewalt sowie gegen Schweigegebote zu kämpfen. Und daher prüfe ich Texte und Aussagen zu dem Thema immer darauf, ob sie eins der vier Muster, die ich mal rausgegriffen habe, weil sie mir immer wieder ins Auge springen, unterstützen, reproduzieren. Eine patriarchal strukturierte Gesellschaft beruht auf asymmetrischen Machtverhältnissen. Es gibt ein Ordnungssystem, das garantieren soll, dass Herrschaft nicht angegriffen wird. Dazu gehört es, dass Betroffene von sexualisierter Gewalt schweigen sollen, am Besten die Erfahrung eben auch nicht als Gewalt einordnen, sondern als normalen, schlechten Sex. Diese Einordnung dient darin, das Patriarchat bloß nicht anzugreifen, bloß nicht sichtbar zu machen, wie in unserer Gesellschaft Macht ausgeübt wird, wer Täter sind und welche Strukturen (Sexismus und in Interdependenz immer auch andere Diskriminierungserfahrungen) dafür verantwortlich sind. Das würde eine radikale Kritik der Gesellschaft notwendig machen.
Es ist schwerer, wenn es um die eigene Geschichte, die eigenen Erfahrungen geht. Es fühlt sich gleich so uff an. Sexualisierte Gewalt ist so sehr normalisiert, dass es wirklich dringend nötig ist, mehr Wege zu finden, darüber zu sprechen, sichtbar zu machen. Relativierende Blogtexte und internalisiert sexistische Erzählungen haben für mich nichts mit Feminismus zu tun. Worte unkenntlich machen (splashen), Personen die benennen anzugreifen, zu bitten, doch bitte vorsicher zu sprechen – das ist alles verdammt nah am Schweigegebot und ich weiß, viele fühlen sich angegriffen davon wenn ich das sage, aber ich werde nicht aufhören, Kritik an diesen Praxen zu üben. Zu nah dran an gesamtgesellschaftlichen Mechanismen. Es ist nicht so, dass ich kein Verständnis dafür habe, wenn klare Sprache reinknallt und Leute davor zurückschrecken, wenn Gewalt offen benannt wird tut das oft weh – kann aber auch verdammt befreiend sein. Und wie wir immer immer wieder erleben, ist es so so wichtig, dass wir immer öfter klar benennen: Es geht um Gewalt. Gewalt mit Struktur. Und ja, es gibt das Patriarchat und wir sollten nicht aufhören, Taten und Täter zu benennen.
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Ja! Zustimmung. Sehr viel davon.
Ja. manche Worte können schocken, manche können triggern.
Aber sie zu “verbieten” finde ich auch total problematisch. Das schafft nicht nur Schweigegebote sondern auch ein falsches Gefühl von Sicherheit. Und ich finde es wichtiger sich damit auseinander zu setzen was Gewalt eigentlich ist, was Trigger eigentlich sind, wie Traumata funktionieren, wie man damit arbeiten kann, wie man vermeiden kann Menschen die Traumatisiert sind als arme unmündige Hascherl darzustellen als Worte zu splashen und solchen Zirkus. Ich finde es besser einen aussagekräftigen Titel über einen Text zu setzen als ein dramatisierendes und paternalisierendes *Triggerwarnung* voranzustellen (was außerdem total sinnlos ist, weil es Leute gibt die durch Vanillepudding oder Schuhgeschäfte oder Redeverbote 😉 viel schlimmer getriggert werden als wenn sie das Wort Vergewaltigung lesen müssen).
Es ist wichtig auf sich aufzupassen und sich nicht ständig und immer mit Gewalt auseinander zu setzen. Vielleicht auch mal zu sagen: Du über das Thema möchte ich heute Abend nicht reden. Das Wort ist problematisch für mich weil. Aber das geht nur wenn gleichzeitig ein Klima geschaffen wird in dem auch Reden über sexuelle Gewalt möglich ist. Und in dem Konsens auszuhandeln eine geschätzte Praxis ist. In allen Lebensbereichen. Das ist für mich der Unterschied zwischen einem temporären Freiraum und einem Redeverbot. Ein sehr kostbarer.
genau das! danke für deine Worte, die treffen so genau. sagte beim lesen nur jajaja! Liebe grüße. das Steinmädchen
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