In diesem Text versuche ich dem Phänomen nachzugehen, dass beim Thematisieren von Gewalt gegen Frauen™ immer wieder dem Blick der Täter gefolgt wird. Wie meine regelmäßigen Leser_innen wissen, halte ich nichts davon, Gewalt nicht zu benennen. Das tue ich auch hier explizit. Ich habe mich aber dagegen entschieden die Bilder, die ich beschreibe, auf meinem Blog haben zu wollen. Könnt ihr selbst googlen. Wie immer bin ich dankbar für Kommentare, weiterführende Gedanken und Vorschläge für Handlungsstrategien.
Für eine Recherchearbeit habe ich vor einigen Tagen mal wieder „violence against women“ in die Suchmaschine eingegeben. Ich habe das Tab ganz schnell wieder zu gemacht. Vor einiger Zeit schrieb ich einen ähnlichen Text. „Über Männerfantasien. Vergewaltigungsmythen in Bildern.“ Dabei ging es um Bilder, die im Kontext von Berichten über Vergewaltigung genutzt werden, um die Reproduktion von Mythen. Ich nannte den Text Männerfantasien, denn die Bilder, die produziert werden, sind Fantasien, Fantasien die Gewalt auslagern, nicht als alltägliche Realität betrachten.
Was ist eigentlich mit den Tätern?
Auf den Bildern sind Gesichter der Frauen™ bedeckt. Die Hand vor das Gesicht geschlagen. So auch bei meiner Recherche. Der Mund zugehalten. Manchmal sind es fast künstlerische Bilder, in schwarz-weiß oder mit schärfe-unschärfe Einstellungen. Fast so, als ob Gewalt etwas ästhetisches hätte. Dabei ist dann die Frau – oder auch ein Kind – im Hintergrund zusammengekauert, klein, ganz verschwommen. Im Vordergrund ist eine Hand zu sehen, vielleicht ein Arm. Wenn es um „häusliche“ Gewalt gehen soll, ist es eine Faust. Bei sexualisierter Gewalt gegen Kinder ist manchmal noch ein geöffneter Gürtel zu sehen. Diese Bilder. Sie sind überall. Der Fokus ist auf der Hand / dem Gürtel. Die Zuschauer_innen folgen dem Blick des Täters, an der Hand vorbei.
Was ist eigentlich mit den Tätern? Sie sind nie im Bild. Das ist kein Wunder, denn unser gesellschaftlicher Blick auf Gewalt ist patriarchal geprägt. Dadurch können die Täter nicht im Blick sein, denn es ist ihre Brille, durch die wir immer wieder gucken sollen.
Der Täter ist niemals sichtbar. Nur seine Hand, vielleicht eine Ecke vom Rücken, die Hose. Oder ein Schattenriss. Niemals ist das Gesicht. Niemals der Blick. Es ist kaum vorstellbar.
Um das Gesicht zu zeigen, müsste sich der gesamte gesellschaftliche Blick umdrehen. Um die Täter zu zeigen, müsste die Gesellschaft aufhören, Gewalt aus einer patriarchalen Perspektive zu erzählen. Aktuell zeigt sich das an der absurden Debatte um das Hot-Pants-Verbot.
Geguckt wird dahin, wohin sich sexistische und gewalttätige Blicke richten. Es wird nicht auf den Blick des Lehrers geguckt. Den dieser Blick ist männlich, und was männlich ist, ist normal. Vor lauter victim blaiming (angefangen bei Begriffen wie „aufreizende Kleidung) weiß eine gar nicht wo ansetzen mit der Kritik, in diesem Chaos an Gewalt und Reproduktion von Mythen. Aber wie soll das auch erkannt werden, wenn dieser Blick so sehr normal ist? Auf allen Bildern, in allen Filmen, in allen Serien – die Darstellung variert nicht sonderlich. Diejenigen unter euch, die Game-of-rape-culture-thrones gucken, erinnern sich bestimmt noch an die Vergewaltigungsszene, wo die Kamera uns – mal wieder – den Gefallen getan hat, auf den Blick des Typens zu fokussieren, der zugucken musste. Klar. Denn Frauen™ sind Besitz von Typen. Gewalt gegen Frauen™ richtet sich also eigentlich gar nicht gegen diese selbst, sondern gegen ihre Besitzer: Väter, Brüder, Ehemänner, Boyfriends.
Das ist der Moment wo sie sichtbar werden: Als Beschützer, deren Aufgabe es ist, die bedürftigen Kinder und Frauen™ zu retten. So halten Abtreibungsgegner_innen, Besorgten Eltern und Nazis immer wieder das vor “Schändung” zu beschützende Kind in Kamera, welches sie bis zum geht nicht mehr instrumentalisiert, ohne das nur eine dieser Gruppen jemals eine patriarchale Weltordnung in Frage stellen würde.
Das Spiel mit Scham und Schuld
Weil Gewalt patriarchal (nicht) erzählt wird, verbleibt die Verantwortung bei denjenigen, die sie erfahren. Eine hat sich gefälligst zu schämen, wenn die Gewalt erlebt. Denn das heißt, dass sie zu aufreizend angezogen war, sich nicht genug gewehrt hat oder es am Besten noch selbst gewollt habe. Gewalt erleben bedeutet, beschädigt zu werden. Ganz deutlich lässt sich das bei sichrbaren Folgen körperlicher Gewalt zeigen: Es ist ein Makel. Die Schönheit des gesellschaftlich vorgestellten „Frauenkörper“ wurde angegriffen, zerstört. Nicht schön sein bedeutet, sich nicht genug anzustrengend. Alles ist machbar! Narben von Gewalt sind in dieser Erzählung ein Zeichen von Schwäche, eine Anklage daran, es überhaupt passieren lassen zu haben. Und wieder verschwinden die Täter vollkommen aus dem Bild.
Alle gucken, wie auf diesen Bilder, auf die verletzte Person, das schwache, zerstörte Opfer. Ohnmächtig. Es geht nicht darum zu sagen, dass in Gewaltsituationen keine Ohnmacht produziert wird. Aber durch die Art der Bilder und die patriarchale Blickrichtung der Gesellschaft wird diese Ohnmacht immer wieder reproduziert.
Bei sexualisierter Gewalt bleibt klar: Es eine Schande, niemand darf das mitbekommen. Denn alle wissen, wer dann verantwortlich ist. Auf wen geguckt wird. Wer die Person ist, die sich den öffentlichen, zweifelnden Blicken aufsetzen muss. Denn die patriarchale Erzählung beinhaltet, dass es keine Täter gibt. Außer natürlich den „fremden, dunklen“ Mann nachts im Park – oder außerhalb der tollen deutschen Nation und dem “Westen”. Innerhalb eines rassistischen Grundkonsens funktioniert die Vorstellbarkeit von Gewalt gegen Frauen™ dann doch wieder. Aber jenseits dessen will nie jemand der sein, der Gewalt ausgeübt hat. Denn in Wahrheit war es schließlich keine Gewalt, so die Vorstellung. Virginie Despentes schreibt:
Sie nennen das Kind ganz einfach nicht beim Namen, flunkern sich was zusammen und stutzen sich die Sache so zurecht, dass sie bloß nicht das Wort verwenden müssen, dass auf treffende Art das bezeichnen würde, was sie da eigentlich getan haben. Sie haben halt eine alte aufgerissen, bei der sie auch „n bisschen nachhelfen mussten“, haben sich vielleicht „n Tick zu doll gehen lassen“ oder aber ihre Eroberung war „stockbesoffen“ oder „Nymphomanin“ die natürlich nur so getan hat, als ob sie keinen Bock hätte. Aber wenn es am Ende doch passiert ist, dann deshalb, weil die Frau im Grunde ja einverstanden war. […] In den meisten Fällen kommt der Vergewaltiger ohne Gewissensbisse davon. Denn von Vergewaltigung kann ja keine Rede sein, es gab nur n paar Schwierigkeiten mit sonner Schlampe, die erst selbst nicht wusste ob sie Bock hatte, dann aber leicht rumzukriegen war.
(Aus: King Kong Theorie)
Das macht es so wichtig, den Begriff der Vergewaltigung zu benutzen. Zu benennen, was passiert. Denn die Täter werden das niemals benennen. Vergewaltigung finden sie fast alle scheiße. Sie haben nur eine seltsame Definition davon, was eine Vergewaltigung ist. Da kann es Neins noch und nöcher geben, treten und schlagen und weinen und weglaufen – der patriarchale Blick schafft es, daraus eine „sexuelle Begegnung“ zu machen.
Im Projekt #unbreakable wurden hauptsächlich (aber nicht nur) Frauen fotografiert mit Sätzen, die ihre Vergewaltiger zu ihnen gesagt haben. Es ist ein starkes Projekt. Und es wirft um. Es wirft um, wie viele der Sätze die Gewalt schon während sie geschieht umdrehen: „Du solltest dankbar sein“ „Du willst es doch auch“. Es gibt auch Sätze die ganz klar machen, dass es bewusst um Gewaltausübung geht, auch wenn sie nicht so benannt wird („Du hast es verdient.“) und dem ganz klaren Bewusstsein von dem Funktionieren einer patriarchalen Gesellschaftsordnung: „Niemand wird dir glauben.“
In diesen Täterstrategien wird auf die verschiedensten Arten immer das patriarchale Ich hochgehalten. Selbst in einer Logik wie „Du hast es nicht anders verdient.“, wird der Täter nur zum Ausführenden einer gerechten Strafe, die da lautet: Verprügeln und Vergewaltigen. Der Mann als der wahrhaft Gerechte, er macht die Moral, alles wird an ihm gemessen.
Durch das stetige Folgen des Blickes der Täter werden diejenigen, die Gewalt erlebt haben gefragt, ob sie betrunken waren oder nicht weggelaufen sind. Fragen, die an die Täter gehen sollten.
So krass die Sätze auf den Bildern auch sind, ich mag das Projekt deshalb, weil die Perspektive umgedreht wird. Der Fokus liegt auf den verdrehten, gewalttätigen Aussagen der Täter, auf ihren perfiden Strategien, sich selbst und ihr Handeln als vollkommen problembefreit zu betrachten. Kaum einer der Täter, welche zitiert werden, wird sich jemals als Täter gesehen haben und sehen. So perfekt ist das Netz patriarchaler Macht gewebt. Die Gewissensbisse und damit auch Zweifel bleiben bei denjenigen, die Gewalt erlebt haben, denn sie hätten diesen Makel nicht zulassen dürfen. Egal in welchem Alter, in welchem Zustand, ob sich körperlich gewehrt wurde oder nicht – für die Produktion von Schuldgefühlen ist das egal. Denn wenn es keine Täter gibt, keine benennbaren Taten – dann muss das Problem bei der Person liegen, die vergewaltigt wird.
Damaged, but not broken
Gewalt hinterlässt Verletzungen. Aber diese stehen nicht per se für „schwer traumatisiert“. Sie sind da. Es ist wichtig, Raum für diese Verletzungen zu schaffen, ohne sie zu pathologisieren, ohne erneute Ohnmacht und Handlungsunfähigkeit zu reproduzieren. Ohne Stärke abzusprechen. Zu lernen, das keine mit Schuld und Scham alleine ist, dass das verdammt noch mal ein ekel-perfides Machtsystem ist. Ein System, dass dadurch getragen wird, dass die Täter anonym und unsichtbar bleiben, dass es sie letztendlich nicht gibt, denn wenn es sie gäbe, wenn sie zugeben würden, dass all die Erzählungen über Gewalt nicht ausgedacht sind – dann würde das heißen, die eigene Integrität in Frage zu stellen. Und vielleicht zu erkennen, dass nicht nur so viele Personen mit Gewalterfahrungen in unserem Umkreis sind, sondern vielleicht auch welche, die Gewalt ausgeübt haben. Die Blickrichtung umzudrehen, stellt all unsere gängigen Verständnisse auf den Kopf. Und es fängt damit an zu gucken, welche Bilder immer immer wieder verwendet werden – und warum.
Denn letztendlich ist das nichts anderes, als die immer weiter reichende Reproduktion von Täterblicken. Und diese gilt es auf den Kopf zu stellen. Immer und immer wieder.
danke für den text, da steckt viel nachdenkenswertes drin.
Das ist wirklich ein sehr toller Artikel, der sehr zum Nachdenken anregt. Vielen Dank!!!
Ich hatte mir bisher noch nicht viele Gedanken über Täter’blicke’ gemacht. Ich habe mich bisher immer sehr darüber aufgeregt, dass oft bei Diskussionen die Täter im Mittelpunkt der Betrachtung liegen. Denn meine Erfahrung ist (und das ist auch in Talkshows etc. zu beobachten), dass eigentlich immer nur sehr kurz über Betroffene (oder über ihre Meinungen gesprochen wird ,bzw Betroffene selbst den Raum bekommen zu sprechen – oder ihn sich nehmen können). Und dann geht es sofort um die Täter_innen. Aber ‘selbstverständlich’ nicht darum, dass wir Täter_innen verurteilen, sondern darum, dass wir bedenken müssen, dass sie vermutlich eine harte Kindheit hatten, oder anderer Täter_innen entschuldigender Blödsinn. Meistens habe ich mich also darüber aufgeregt, dass die Täter_innen ständig im Fokus der Betrachtung liegen. Aber, ich finde du hast recht mit deinem Artikel: Es wird nicht AUF Täter_innen geschaut, sonder der Blick von ihnen eingenommen.Und das ist ein großer Unterschied. Genau wie es nicht weiter hilft AUF Betroffene zu schauen (egal aus welcher Perspektive), sondern den Blick/ die Perspektive von Betroffenen einzunehmen/ernst zu nehmen.
Vielen Dank für diesen wundervollen Artikel. Es hat mir geholfen, diese beiden Punkte noch mal klarer zu differenzieren.
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