Narbenmund


Ich suche nach Worten um der Sprachlosigkeit zu entfliehen.
Nach Worten, die stark genug sind.
Nach wütenden Worten.
Nach kleinen Worten.
Nach Worten die über das Leben erzählen.

Mein Alter? Meine Geschichte? Meine Wunden?
Ich kann dir Zahlen nennen. Daten. Einschnitte. Meinen Geburtsort, meine Schule, meinen Abschluss, meinen Wohnort. Ich kann dir mein Lieblingsessen nennen und meine Hobbys. Meine liebsten Bücher und Filme. Auch meinen Studiengang und Zukunftsschlussfolgerungen.

Ich kann dir sagen, was in dieser Welt falsch läuft. Ich kann stundenlang über Foucault reden, tagelang über politische Streitpunkte senieren. Ich kann die Welt anklagen, weil sie ungerecht ist.

Aber das ist nur ein Teil.
Wenn ich auf meine Welt schaue, sehe ich einen Scherbenhaufen.
Scherben, an denen ich mich verletze, wenn ich versuche sie zusammenzusetzen.
Ich stehe in den Seelentrümmern meines Lebens und kann sie nicht begreifen. Ich fühle Schmerz, doch ich finde keine Worte, die ihn fassen können.
Ich versuche zu sprechen. Mit Bildern, Wunden und Hilflosigkeit.

Ich spüre Hunger. Hunger, für den es keine Nahrung gibt. Ein Mensch am Verdursten in der Wüste der Sprachlosigkeit.
Kommunikation. Interaktion. Beziehungs- und Sachebene. Missverständnisse.
Missverständnisse setzen Verstehen voraus. Missverstehen. Aber verstehen.
Ich lebe in einer fremden Welt, deren Sprache ich nicht behersche.
Ich kann mich anpassen.
Funktionieren.
Interkulturelle Kommunikation.
Kommunikation ohne Verstehen.

Seelennarben ohne Übersetzung.

Ein Gedanke zu „Narbenmund

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