Marienkäfer-Mystery


Johann ließ stöhnend den Kopf in die Hände sinken. Blöder Botanikkram. Das würde er nie alles lernen!
Er ließ seinen Blick umherschweifen, blickte aus dem Fenster. Die Sonne schien herrlich hell auf die grüne Wiese. Er hatte gerade keinerlei Interesse zu lernen, wie man erklärt warum da draußen alles so schön bunt aussieht – und erst recht nicht an den lateinischen Bezeichnungen für diese Vorgänge. Er wollte nach draußen, sich in eine Hängematte legen und schlafen. Ein bisschen kalt würde es sein, aber im Frühling auf der falschen Seite des Fensters zu sitzen, über Biologiebücher gebeugt, das war einfach nicht fair.
Am Abend würde er Luise treffen, der einzige Ausblick an diesem Tag. Eigentlich wollte er ihr ja etwas anderes als nur Schokoeier mitbringen, aber wie sollte er das bloß schaffen? Zum Einkaufen war keine Zeit mehr. Er musste ja lernen.
Wie schön wäre es jetzt da draußen… Luise beobachten wie sie in ihrem weißen Sommerkleid über die Wiese wirbelt… Bunte Blumen überall in der Luft, in ihrem dunklen Haar…
Ein lauter Knall riss Johann jäh aus seinen Träumen. Die Tür zu seinem Zimmer war aufgeflogen, und im Rahmen stand ein kleiner Gnom, verborgen unter einer viel zu großen Mütze, der Rest Gesicht versteckt hinter einer riesigen Lupe.
“Ich hab es genau gesehen, er ist hier drin verschwunden.”
“Paul, was machst du da mit meinem Mantel?”
Johann blickte entgeistert auf seinen kleinen Bruder, eingehüllt in einen schwarzen Mantel der bis zum Boden reichte, in der einen Hand die Lupe, in der anderen ein Koffer.
Paul richtete sich stolz auf.
“Ich bin ein Detektiv. Und hier drin ist er verschwunden.”
“Wer denn?”
“Na der Marienkäfer. Mit den vielen Punkten.”
“Ein Marienkäfer?!”
Paul antwortete nicht sondern betrachtete durch die Lupe das ganze Zimmer. “Ich habe ihn genau beobachtet…”
“Paul, du machst jetzt sofort die Fliege, ich muss lernen!”
Paul verschränkte die Arme und setzte sein Schmollgesicht auf. “Du nimmst mir meinen Fall weg!! Du bist blöd.”
“Wenn ich einen Fall zu lösen habe, sage ich dir Bescheid. Jetzt habe ich erstmal eine andere Aufgabe für dich.” Johann war gerade etwas eingefallen: “Könntest du mir vielleicht eine schöne Blume aus dem Garten holen? Als Geschenk für Luise?”
Paul, der Luise wie eine Göttin verehrte, guckte böse, nickte aber dann und wand sich zur Treppe.
“Aber danach suche ich den Käfer – ich kriege jeden Fall gelöst!”
Johann musste lächeln. Sein kleiner Bruder war zwar eine fürchterliche Nervensäge, aber irgendwie eine Niedliche. Und er würde sich jetzt erstmal ein Glas Wasser von unten holen, vielleicht würde es dann mit dem Lernen endlich klappen.

Als Johann sein Zimmer wieder betrat, sah er sofort, dass etwas fehlte. Die Schokoeier waren fort! “Paul der kleine Wicht…” Johann zischte wütend. Verdammt sollten alle kleinen Geschwister sein. Er stürzte zur Treppe und brüllte: “Paaaaaaaaauuuuuul!!!!!!!”
Am unteren Ende tauchte der kleine Bruder auf, das Gesicht von Erde verschmiert. Johann war gerade mit ganz anderen Gedanken beschäftigt, und so vergass er vollkommen, sich zu wundern, dass Paul sich so schmutzig gemacht hatte – nur um eine Blume zu pflücken.
“Hast du die Schokoeier von meinem Schreibtisch weggenommen, du kleiner, dreister Wicht? Ich muss lernen, verdammt”
Paul guckte erst erstaunt, doch dann leuchtete sein Gesicht vor Freude auf. “Ein Fall für mich: ein echter Einbruch!”
“Paul, verdammt, das ist kein Spiel. Warst du es oder nicht?”
Paul guckte Johann so hochmütig, wie er es von seiner Körpergröße her nur konnte, an. “ICH habe ein Albi. Mama hat mich im Garten gesehen.”
Inzwischen waren die anderen Familienmitglieder aufgetaucht, angelockt von Johanns Wutgeschrei. Erst die Mutter, gefolgt von der Oma und der dreizehnjährigen Schwester.
Paul blickte zu seinem großen Bruder hoch. “Bekomme ich ein Eis, wenn ich den Fall löse?” “Meinetwegen… Dann mach aber schnell!”
Johann beobachtete entnervt seinen kleinen Bruder, wie er an den drei Frauen vorbei ging.
“Also… Mama kann es nicht gewesen sein. Die habe ich im Garten gesehen, sie hat also für die Tatzeit ein Albi.” Johann verbesserte Paul: “Paul, es heißt Alibi.” “Dann eben Alibi. Es kommen also nur Verena und Oma in Frage.” Der kleine Paul wendete sich an seine Schwester: “Wo warst du, als die Schokoeier gestohlen wurden?” Verena blickte ihren Bruder von oben herab an. “ICH stehle doch keine Schokolade… die machen dick!” Zu Johann gewandt fügte sie hinzu: “Ich würde an deiner Stelle Luise sowas auch nicht schenken…” Johann gab bissig zurück:”Nicht alle sind so Klischeeweiber wie du und täglich auf Diät!”
Paul blieb vor der Oma stehen. “Und du?” “ICH war es auch nicht. Ich bin doch viel zu langsam…”
Paul griff nach seiner Lupe. “Eine lügt hier…” Er betrachete die Kleidung von Verena und der Oma intensiv. Dann drehte er sich strahlend um. “Ich weiß wer die Täterin ist.” Johann guckte ihn zum zweite Mal an diesem Tag entgeistert an. “Und woher?” “Na, ist doch ganz klar. Der Marienkäfer. Der mit den 18 Punkten. Der ist in dein Zimmer geflüchtet. Und jetzt sitzt der bei Oma auf dem Ärmel. Oma war es also.”
Die Oma guckte schmollend. “Wenn der Arzt mir auch alle leckeren Sachen verbietet – und ihr hört auch noch auf diesen Quacksalber…”
Paul grinste Johann an. Der seufzte ergeben. “Okay, du bekommst dein Eis.” “Aber Straciatella!” “Meintewegen…”
Johann betrachtete Pauls Gesicht eingehend. “Wolltest du nicht im Garten eine Blume pflücken oder im Schlamm Baden?”
Paul strahlte noch mehr. “Von Pflücken hast du nichts gesagt…” Er öffnete seinen Koffer und nahm vorsichtig eine Schachtel heraus. In der Schachtel war inmitten eines großen Stückes Wiese ein Gänseblümchen zu sehen. Und zum dritten Mal an diesem Tag genoß er den entgeisterten Blick seines großen Bruders. “Du hast mir schließlich mal gesagt, das Blumen sterben, wenn man sie ausreißt. Und Luise darfst du doch nichts Totes schenken…”