Ge-störte Identitäten

Ich bin nicht gut in dieser Identitätsgeschichte. Was ist das schon, Identität. Stabil? Dekonstruiert? Im Fluss? Ich beziehe mich viel auf Kleidung. Greifbar und so. Ein Thema, das für mich immer eine Rolle spielte. Nicht gerade freiwillig. Das ist auch Thema. Und die Frage nach dem Ausschnitt. Und der „Identitätsstörung“. Erste Gedankensprünge verschriftlicht.

Für mich ist das ganze dekonstruieren nicht schwierig, weil in meiner Welt nichts je wirklich konstruiert werden konnte. Weil ich oft nichtmal begriffen habe_begreife, wie diese Konstrukte überhaupt aussehen. Manchmal mit einer erschreckenden Naivität. Ich wurde als Mädchen geboren, das von außen als Mädchen lesbar war. Ich habe mich auch als Mädchen gefühlt, wollte aber die ganze Jungsdinge machen. Ich wollte kein Junge sein. Ich wollte immer als Mädchen die gleichen Rechte haben. Mit kurzen Haaren und zerissenen Hosen und mit auf Bäume klettern. Diese Identität wurde mir immer wieder abgesprochen. Ich wurde als Junge identifiziert, wenn ich die Dinge tat, die mir Spaß machten. Oder einfach wegen dem Auftreten.
Auch später wurde mir Mädchen/Frausein abgesprochen. Wegen meinem Aussehen. Später wegen dem Dicksein. Weil ich ich war. Eine Person ohne Geschlecht, ohne Sexualität, der immer wieder kommuniziert wurde: Du bist nicht attraktiv. Kein Menschen (ergo Männer) kann dich attraktiv finden.
Ich habe mich nicht wohl gefühlt in einer Frauenrolle, in dem Schminken und dem ganzen anderen Kram. Aber nicht weil ich mich nicht wohlgefühlt habe, sondern weil mir abgesprochen wurde, das ich so sein darf. Die, wo alle sich den Mund zerreißen, wenn ich auf einer Party mit einem Typen rumgeknutscht habe. Was auch wenig mit Begehren zu tun hatte, mehr mit der Geschichte: Das machen andere so. Die Ganz sind. Ich will auch „normal“ sein. Eine Identität bekommen.
Ich habe viele versucht, die Barfussfrau, der Hippie, die Rebellin, die kurze Gothphase, das Jungenmädchen, die aufgebretzelte Frau, die alle mit ihrem Ausschnitt schockt. Und das alles nicht kapiert, was denn nun das Konstrukt ist, dem ich folgend sollte, weil alles irgendwie nicht richtig war.
In feministischen und queeren Zusammenhängen werde ich oft seltsam angeschaut, wenn ich einen „tiefen“ Ausschnitt trage. Und ich denke: Fuck you. Das hat viele Gründe. Ich bin dick. Da ist das schonmal mehr sowas abstößiges, weil ich meinen Körper bedecken müsste. Und überhaupt, das Einfordern als geschlechtliches Wesen gelesen zu werden – widerspricht das nicht so vielen Ansprüchen? Tatsache ist, als Person zu gelten, ist schwer, wenn dir ein Geschlecht abgesprochen wird. Nicht wenn du dich dafür entscheidest. Aber wenn das in gewaltsamen Strukturen passiert, die dazu dienen, Abwertung zu stabilisieren. Ich habe mich nicht dazu entschieden, abgesprochen zu kriegen eine „Frau“ zu sein. Ich habe nicht entschieden, dass das erste Mal, als ich zu Schulzeiten auf einer Party mit Ausschnitt erschien das so eine krasse Erfahrung sein musste: „Wie, die hat Brüste? Wie, die zeigt die? Das ist eine Frau?“
Für mich war das ein langer Aneigungsprozess. Mich nicht zu schämen. Nicht in Selbsthass zu fallen wenn mit ein Typ drückt: „Das kannst du aber nicht tragen, deine Nippel fallen ja fast raus.“ Und ich finde es schwer mich zu bewegen darin einzufordern, meine Brüste nicht verstecken zu müssen und dann aber auch nicht immer sexualisiert gelesen zu werden. Das sind meine Brüste. Keine Ahnung ob ich sie mag. Aber es ist mein verdammtes Recht, Kleidung zu tragen, die diese nicht vollständig bedecken. Und ich frage mich wirklich ernsthaft, warum das in bestimmten Räumen mit so vielen seltsamen Blicken bedacht wird, die ich oft nicht einordnen kann. Werde ich dann weniger feministisch gelesen? Weniger lesbisch? Opfer der Modeindustrie? Opfer von Sexismus? Zu viel Haut? Ich verstehs nicht. Aber ich fühle mich unwohl. Einen Kacktypen kann ich inzwischen vor die Tür setzen. Aber ich bewege mich nicht mehr so viel in Räumen, in denen das so die Partysituationen sind. Und beobachte mich, wie ich mich trotzdem oft gegen den „tiefen“ Ausschnitt entscheide.
Femme, bin ich eine Femme? Auch das ist eine Identität die mir fremd ist noch in vielen Teilen. Ich liebe lange Kleider. Am besten im sogenannten „Mittelalterstil“. Auch nicht in meiner Kleidergröße erhältlich, natürlich, dicke Frauen tragen besser andere Kleider. Aber ich trage auch gerne tiefsitzende Hosen. Dieser lässige Stil. Die Coolness und das Abwehrende, was mancher Stil nach außen trägt. Nichts davon ist „meins“. Außer vielleicht die fancy Kleider, die ich nirgendwo tragen kann. Aber alles andere ist Performance. Weil ich das nie gelernt hab. Weil ich für jede Kleidung krasse Sanktionen erfahren habe. Für jedes Verhalten. Egal ob betont „weiblich“ oder betont eben diese Rolle ablehnend. Ich frage mich auch immer, was das ist mit diesen „bösen Szenecodes“. Klar, ich mache ja auch die Erfahrung, wie scheiße das ist, da nicht reinzupassen. Aber diese Codes gibt es doch nicht ohne Grund. Sie sind oft widerständisch angedacht. Sich gegen eine Normalität auflehnen.
Dekonstruieren ist nichts, was ich in der Uni gelernt hab. Nichts, was ein theoretisches Konzept aus irgendwelchen Studien für mich ist. Damit hat es einen Namen, Kontexte, Zusammenhänge. Aber es ist ein Praxis dessen, das nichts greifbar und wirklich real ist. Weil es keine Räume ohne Macht gibt. Kein Raum, wo nicht andere mit_entscheiden, wer du bist, wo du hingehörst, was du tun darfst.
In der Borderlinediagnose nennt sich das „Unsicherheit im Bezug auf die eigene Identität“ oder so ähnlich. Ich habe nie verstanden, was daran die Störung ist. Die Störung einer Persönlichkeit soll das sein. Welch gut behühtetes Leben muss ich haben, um eine den Glauben an eine stabile Identität zu kriegen? Wer ist gestört? Und wer stört? Was ist normal? Und was ist daran gut? Eine normale, stabile sexuelle Identität wäre als Frau heterosexuellen Sex zu definieren und keinen Spaß daran zu haben als Teil der Normalität wahrzunehmen. Sich damit identifizieren ohne infragezustellen. Das könne eine normale Identität sein. Stabil daher, da sie von Strukturen getragen wird.
Können Identitäten stabil sein, die nicht von Strukturen getragen werden? Oder im Gegensatz performt werden? Wenn ich von Performance spreche, kann ich dann von Identität reden? Macht mich das zufrieden, passt das für mich? Mir macht der Gedanke an eine stabile Identität eher so Unbehagen. Muss ich das jetzt irgendwie therapieren, weil das mit negativen Erfahrungen zusammenhängt? Was, wenn mir selbst gar nicht danach ist, mich festzulegen? Ich aber auch keine Lust habe auf: Oh, ich darf mir das alles selbst zusammen basteln aus einem Baukasten und das ist total meine eigene, freie Entscheidung?
Nichts an Identitäten ist eine freie Entscheidung, meiner Meinung nach. Kein bastel dir alles zusammen sodass du glücklich wirst und dann toll funktionieren kannst in der Gesellschaft. Identitätskonstruktionen sind schmerzhaft. Sie weichen ab, finden durch Empowerment Halt und versuchen sich zu behaupten. Niemals ab von Verhältnissen. Wo und wann kann ich mir erlauben, mit Geschlechterperformance zu spielen? Was braucht es dazu? Und welchen Kontext hat das? Und wer kann sich das erlauben?
Wie bewege ich mich zwischen Boxershorts und Ballkleid? Zwischen Sexualisierung und Entsexualisierung? Und welche Privilegien kommen mir durch meine Cis-Identität zu? Es ist nicht leicht, sich erst etwas erkämpfen zu müssen und dann zu zweifeln, ob dass denn so seine Richtigkeit hat. Aber mir ist es wichtig, den Begriff „Frau“ zu verwenden, ihm nicht auszuweichen. Ich bin kein „Mensch“. Ich “bin” eine Frau (im Sinne eines Konstruktes), ich werde inzwischen auch so gelesen. Der Begriff wird zu oft mit Schwäche verbunden. So als ob ich bestimmte Erfahrungen nicht mehr mache, wenn ich den Begriff vermeide. Genauer noch: Ich bin eine dicke, lesbische Frau. Das ist ja noch komplizierter – “eine” Identität, wo ich dann am Besten nur „liebe“ und nicht begehre. Weil „Liebe“ schafft es ja, über diese Mängel hinwegzusehen. Wenn kümmern da schon Körper (oder das Geschlecht), wenn die Liebe (TM) da ist. Einfach grenzenlos.
Meine Identitäten fallen nicht vom Himmel. Ich dekonstruiere sie auch nicht einfach nur. Ich kriege sie aufgedrückt durch Verhältnissen, muss sie irgendwie verstehen – aber erkämpfe sie auch gegen Widerstände. Ich performe und überspitze, schaffe Karrikaturen und Stereotype – niemals aus dem Nichts, sondern immer nur mit den Requisiten, die mir mitgeben wurden.

6 Gedanken zu „Ge-störte Identitäten

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  2. salandersviper

    Hallo Steinmädchen,
    danke für deinen Text. Ich hatte das Gefühl, du hast mit deinen Fragen so viele wichtige Themen angesprochen und mit wenigen Sätzen sehr klar gemacht. Ich habe auch oft Schwierigkeiten, meiner Identität einen Namen zu geben, sie zu definieren, halte Identität aber auch nicht für Beliebig oder es gar für “rückständig”, sie benennen zu wollen.
    Mir gefällt dein Statement: “Ich frage mich auch immer, was das ist mit diesen „bösen Szenecodes“. Klar, ich mache ja auch die Erfahrung, wie scheiße das ist, da nicht reinzupassen. Aber diese Codes gibt es doch nicht ohne Grund. Sie sind oft widerständisch angedacht. Sich gegen eine Normalität auflehnen.”. Ich bin nicht femme, aber durchaus genervt von der Abwertung von Feminitäten in lesbischen oder queeren Kontexten. Ich finde es gut, dass du in diesem Spannungsfeld nicht-feminine lesbische Identitäten anerkennst.

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  3. kleines Mädchen

    Ich frage mich immer zu, was eine “Identität” überhaupt ist. Ich bin noch Jung und in der Schule lernen wir gerade etwas über Identitätsbildung, Phasen im Leben, wie man sich anpassen muss und was normal ist. Immer wenn ich einen Text darüber lesen muss, frage ich mich, warum alle gleich sind und trotzdem alle von “Induviduen” sprechen. Das macht mich wütend. Für mich ist es “Induvidualtiät” eine Lüge, denn alle Menschen werden kategoriesiert, analysiert und eingeordnet. Am Ende sind dann alle gleich, auch wenn es vielleicht winzige Unterschiede bei den Beweggründen gibt, die sind halt von Mensch zu Mensch unterschiedlich. Jeder möchte etwas besonderes sein, sieht vielleicht anders aus, aber am Ende sind alle gleich. Es gibt sogar Menschen, die genau gleich aussehen oder dieselbe Stimme haben. Ist das nicht gruselig? Mir macht es Angst ein Teil einer großen Masse zu sein, mit der ich mich trotzdem nicht “identifizieren” kann.
    Noch etwas, was mich würend macht ist, wenn jemand über “die Leute” spricht. Eigentlich ist doch jeder ein Teil “der Leute”. Aber die einzige Person, die von dem Mensch, der so etwas sagt ausgenommen wird, ist er_sie selbst. Ist das auch wieder das Streben danach etwas “besonderes”, etwas “induviduelles” zu sein? Ist es nicht anstrengend zu krampfhaft zu versuchen etwas “einzigartiges” zu sein, wenn es alles schon gibt und man alles in Schubladen steckt?

    Tut mir leid, falls dieser Text wenig Sinn ergibt oder viele Fehler enthält, aber ich habe soo viele Fragen und niemand kann mir sie beantworten, obwohl sie sich jeder stellt. Ich hoffe jemand versucht seine Gedankengänge dazu hier mit mir zu teilen…

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    1. Steinmädchen Artikelautorin

      hej, danke für deinen kommentar. ich glaube ja immer, dass das streben danach, etwas besonderes zu sein, mit dem streben nach anerkennung zu tun hat. anerkennung ist so wichtig. gesehen werden. das jemand sagt: ich nehme dich, dich als person wahr.
      und ja, der philosoph michel foucault sagte mal: wir alle sind nur zitate. manchmal macht mir das auch angst, weil wo soll es darin das ich geben? und gleichzeitig ergeben zitate, wenn eine sie neu zusammenwürfelt, immer auch was neues.
      einzigartig sein… das ist mehr so eine christliche idee finde ich. aber es geht darum, auch aus den schubladen auszubrechen in die wir gesteckt werden, weil sie sind so verdammt eng. was daran dann identität ist, weiß ich auch nicht. ich finde sie nicht, aber ich suche auch nicht richtig danach. identität ist halt eine gesellschaftliche fiktion, damit alles leichter händelbar ist, nicht so beliebig scheint.
      weiß nicht ob dir das weiter hilft, aber ich habe einfach mal geschrieben was mir durch den kopf geht.
      beste grüße vom steinmädchen

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      1. kleines Mädchen

        Danke, das hilft mir wirklich weiter. Ich finde in deinen Gedanken viel von meinen eigenen wieder und es ist immer wieder schön zu sehen, wenn man nicht allein ist. Auch wenn jeder einzelne Aufmerksamkeit braucht. Vielleicht ist das ja die Bedeutung von ‘Individuum’

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